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Archiv-Artikel

„Wir sollten uns nicht in die Hosen machen“

INTERVIEW KLAUS JANSENUND MARTIN TEIGELER

taz: Herr Schartau, ist Politik gerecht?

Harald Schartau: Politik sollte sich bemühen, gerecht zu sein. Immer schafft sie es nicht.

War die Politik gerecht zu Ihnen?

Dass ich als Parteivorsitzender den Kopf für die verlorene Landtagswahl hingehalten habe, ist eine Seite der Medaille. Dass ich auch schöne Zeiten als Vorsitzender gehabt habe, ist die andere.

Vor der Wahl haben Sie mit Peer Steinbrück eine Doppelspitze gebildet. Er ist jetzt Bundesfinanzminister, Sie sind Hinterbänkler. Ist das gerecht?

Dass Peer Steinbrück auf Bundesebene den Finanzminister macht, ist für die NRW-SPD eher gut. Es war notwendig, dass irgendeiner personelle Konsequenzen zieht. Das war ich.

Freiwillig?

Es hat mich keiner gedrängt, aber es waren viele damit einverstanden. Ich war ein Quereinsteiger, der aus der Gewerkschaft kam und habe akzeptiert, dass ich nach der Wahl die Verantwortung tragen musste.

Brauchte die SPD einen Sündenbock?

Es brauchte ein erstes Signal nach innen und nach außen, dass die Partei nicht zur Tagesordnung übergeht. Wenn das mit meinem Rücktritt geschehen ist, war das gut so.

Ihre Ex-Kabinettskollegen haben zum Teil den Absprung in gut dotierte Jobs geschafft: Birgit Fischer bei der Barmer, Axel Horstmann bei EnBW, Michael Vesper beim Deutschen Olympischen Sportbund.

Über meine Kollegen urteile ich nicht.

Sitzen Sie lieber in der vorletzten Reihe des Landtags?

Nicht die Sitzreihe entscheidet über das, was jemand für seine Wähler leistet. Ich habe zum ersten Mal in meinem Leben ein Landtagsmandat. Ich bin direkt gewählt worden, da fühle ich mich meinem Wahlkreis gegenüber verantwortlich.

Andere Ex-Minister führen in der SPD-Fraktion weiter das große Wort. Ist das clever?

Auch in der Opposition braucht es Kontinuität und Sachwissen, vor allem in komplizierten Gebieten. Aber natürlich hat es die eine oder andere blöde Situation gegeben, in der Kollegen gegen ihr altes Ministerium agieren mussten.

Sie halten sich auch als Abgeordneter merklich zurück. Interessiert es Sie nicht, was Jürgen Rüttgers als Ministerpräsident so treibt?

Ich bin engagierter Sozialdemokrat, in der Fraktion wie auch im Dortmunder Unterbezirksvorstand. Und in meinem Wahlkreis kennen mich die Genossen auch sehr gut.

Wir haben da eine Theorie, die erklärt, warum Sie so zurückhaltend sind: Jürgen Rüttgers ist jetzt der große Sachwalter für soziale Gerechtigkeit – da bleibt für Sie kein Platz.

Ich wusste gar nicht, dass die taz auch Elemente von der Titanic hat (lacht).

Wieso?

Jürgen Rüttgers hat sich mit seinen Vorschlägen zur Verlängerung des Arbeitslosengeld I ein Thema ausgesucht, das in der Bevölkerung viele Sympathien genießt. Gerade viele ältere Menschen im Ruhrgebiet merken, dass ab einem gewissen Alter Hängen im Schacht ist. Ich habe gar nicht so die Sorge, dass Rüttgers Vorschlag die Arbeitslosenkassen zu sehr belastet. Viel schlimmer ist, dass er die weiße Fahne vor den Altersschranken am Arbeitsmarkt hisst. Statt gegen die Altersdiskriminierung vorzugehen, verbreitet er Sorglosigkeit.

Spricht Rüttgers nicht den entscheidenden Schwachpunkt der Hartz-Reformen an: Dass diejenigen, die lange gearbeitet und eingezahlt haben, nichts zurückbekommen?

Rüttgers macht einen Schritt zurück. Wenn man seinen Vorschlag zu Ende denkt, heißt das Arbeitslosengeld bis zur Rente. Das Alter, ab dem die Hürden für den Wiedereinstieg ins Arbeitsleben zu hoch werden, liegt heute schon bei 45. Wer in einer solchen Zeit mit der Verlängerung des Arbeitslosengeldes winkt, signalisiert den Unternehmen, dass alle Appelle zur Beschäftigung älterer Arbeitsloser nicht ernst gemeint sind. Der Arbeitsmarkt passt sich an so etwas an.

Warum tut sich die SPD so schwer damit, gegen Rüttgers zu argumentieren?

Seine Forderung ist sicher nicht unsympathisch. Aber noch einmal: Sie verhindert nicht, dass Ältere unbarmherzig ausgesiebt werden. Auf dem Arbeitsmarkt herrscht schon jetzt ein Jugendwahn, der durch nichts zu rechtfertigen ist.

Sind Sie sich sicher, dass die SPD hart bleibt und Jürgen Rüttgers Vorschlag nicht Gesetz wird?

Das weiß ich nicht. Mir wäre es jedenfalls lieber, wenn mehr dafür getan würde, dass Menschen über 50 wieder Arbeit finden.

Jürgen Rüttgers positioniert sich in seiner Politik immer wieder gegen die Bundesregierung. Hätten Sie früher nicht auch mehr Politik gegen Berlin machen müssen – zum Beispiel bei der Agenda 2010?

Nein. Wir hatten eine andere Farbenlehre: Als rot-grüne Koalition in NRW waren wir einer der Stützpfeiler von Rot-Grün in Berlin. Ohne uns hätte Rot-Grün dort im Bund gar nicht so lange arbeiten können. Rüttgers kann wegen seines Bündnisses mit der FDP die große Koalition im Bund nicht unterstützen. Also macht er aus der Not eine Tugend.

Jetzt argumentieren Sie taktisch. Hätten Sie denn Lust gehabt, sich während der Agenda mit Gerhard Schröder anzulegen?

Es gab mehrere Auseinandersetzungen. Hier und da haben wir von Berlin eins auf den Rüssel gekriegt. Nordrhein-Westfalen ist zwar groß, aber die Hauptstadt konzentriert die Macht schon sehr auf sich.

War die Agenda schuld an der Wahlniederlage in NRW, oder waren es hausgemachte Probleme?

Eine gute Mischung aus beidem, würde ich sagen. Die SPD hat in NRW sehr lange regiert. Wir waren wohl für die Bevölkerung in zentralen Politikfeldern nicht mehr attraktiv. Das müssen wir uns selbst ankreiden. Die Agenda hat uns viele Sympathien gekostet und viele Parteiaustritte beschert. Trotzdem musste sie sein.

In vielen Positionen bricht die NRW-SPD mit der damaligen Politik. Ihr Nachfolger Jochen Dieckmann stellt sich zum Beispiel gegen die Unternehmenssteuerreform.

Die NRW-SPD hat den Anspruch, für soziale Gerechtigkeit einzustehen. Dafür müssen wir konkret werden – sonst bringt uns der Anspruch nicht weiter. Es war richtig anzumerken, dass man nicht aus strukturellen Gründen an der Mehrwertsteuererhöhung festhalten muss und gleichzeitig 5 Milliarden Euro für die Unternehmen ausgibt. Da kann man die Papiere vorwärts und rückwärts lesen, dass ist nicht zu verstehen.

Die Fraktionsvorsitzende Hannelore Kraft fordert einen dritten Arbeitsmarkt.

Das ist nicht mein Favorit. Trotzdem müssen wir anerkennen, dass es Leute gibt, die den Sprung auf den ersten Arbeitsmarkt nicht schaffen. Um es positiv zu formulieren: Nicht alle können Hightech-Anforderungen gerecht werden, aber durchaus arbeiten wollen und können. Gerade im Bereich der Geringqualifizierten tobt die Rationalisierung und die Schwarzarbeit. Es ist vollkommen legitim, dagegen mit einem dritten Arbeitsmarkt vorzugehen. Das ist jedenfalls besser, als immer noch der Idee der Vollbeschäftigung nachzuhängen.

Stellen Sie sich manchmal vor, wie es gelaufen wäre, wenn Sie Dinge anders gemacht hätten?

Eigentlich belastet das meinen Kopf nicht so sehr. Ich gucke nach vorne. Schwarz-Gelb ist jetzt dran, und die kochen auch nur mit Wasser. Bis 2010 haben wir noch viel Zeit, das auch den Wählern zu zeigen.

Ihr Parteifreund Wolfgang Clement hat der NRW-SPD schon prophezeit, dass sie auch dann wieder verliert.

Wolfgang war schon mal sportlicher. So etwas tut man nicht.

Toll sind die Aussichten aber nicht: Immerhin belegen ja SPD-interne Studien, dass es kaum mehr einen Ortsverein gibt, der wirklich aktiv arbeitet.

Das war ein wunderschönes Eigentor aus dem Berliner Willy-Brandt-Haus. Die Untersuchung war für die interne Planung bestimmt. Wer da am Schreibtisch sitzt und schreibt, dass ein guter Ortsverein pro Jahr mindestens 10 Prozent seiner Mitgliederschaft neu werben muss, hat sie schlichtweg nicht mehr alle auf der Latte. Wenn die Ortsvereine tatsächlich nicht mehr leben würden, könnten wir als SPD unser schönes Parteibuch zuklappen. So weit ist es aber noch lange nicht.

Auch in NRW geht der Mitgliederschwund weiter.

Die Ortsvereine in Dortmund, die ich kenne, sind sehr vital.

Also alles halb so wild?

Ich finde, wir sollten uns nicht in die Hosen machen.