: Neues vom Kuvenflitzer
Beim Weltcup der Eisschnellläufer im Berliner Sportforum purzelt Bahnrekord um Bahnrekord. Auch die deutschen Männer lassen sich von den Zeiten der Frauen zu ordentlichen Leistungen inspirieren
aus berlin johannes kopp
Sechs Bahnrekorde und etliche persönliche Bestleistungen wurden unterboten. Irgendetwas schien die Teilnehmer des Eisschnelllauf-Weltcups in Berlin beflügelt zu haben. Doch was? Der Hallensprecher säuselte dem Publikum zwischendurch einmal zu: „Das liegt sicher auch an Ihnen. Es ist Weltklasse, wie Sie die Sportler unterstützen.“ Eine Lüge um der Schmeichelei willen. In Hohenschönhausen mussten die meist emotionslosen Zuschauer mehr vom Mikrofon aus angetrieben werden, als dass sie selbst antrieben.
Die beiden Deutschen Anni Friesinger (1.500 Meter in 1:55,54 Minuten) und Jenny Wolf (500 Meter in 37,77 Sekunden) verrieten unisono, was ihre Bahnrekorde begünstigt hatte: „Das Eis ist exzellent gewesen.“ Es blieb das Geheimnis der Eismeister, welche Rezeptur die Athleten davonschnellen ließ.
Der Untergrund war es gewiss nicht allein. Einige Sportler bewiesen eine hervorragende Frühform. Sowohl Friesinger als auch Wolf liefen in ihrem zweiten Weltcuprennen der Saison sogenannte Flachlandrekorde. Zeiten, die außerhalb von Calgary und Salt Lake City noch keine Athletin erreicht hatte. Die deutschen Frauen sorgten also wie gewohnt für die großen Schlagzeilen. Neu war, dass die Leistungen der Männer mehr als eine Randnotiz hergaben. Bereits vergangene Woche beim Weltcup in Heerenveen überraschten sie mit Ergebnissen von großem Seltenheitswert. Samuel Schwarz und Tobias Schneider schafften es unter die Top Ten. Nun bestätigten sie das Gezeigte in Berlin. Schwarz wurde über 1.000 Meter 16. und Schneider rangierte mit zwei persönlichen Bestmarken über 1.500 und 5000 Meter auf Platz 10 und 9.
Wenn man die Zeitabstände betrachtet, ist die Distanz zur Weltspitze nach wie vor groß. Doch seitdem der Holländer Bart Schouten im Juni die deutsche Männerriege trainiert, hat sich bei den Eisschnellläufern eine neue Denkweise durchgesetzt. Schouten, der lange in den USA tätig war und dort Chad Hedrick und Derek Parra zu Olympiasiegern formte, hat seine Schützlinge überzeugt: Zu viel Realismus ist schädlich. Entsprechend analysierte Tobias Schneider, sein offenbar gelehrigster Schüler, das 5.000-Meter-Rennen. „Es war zwar meine Bestzeit, aber ich könnte noch zwei Sekunden schneller sein.“ Damit befände er sich schon in der Nähe von Platz fünf. Und bis zu den Spielen 2010 in Vancouver hätte er noch genug Zeit, die Lücke zu einem Medaillenplatz zu schließen, erklärte der 25-Jährige.
Schouten hätte diese amerikanische Mentalität mitgebracht, dieses „Alles ist möglich“, lobt Schneider. Außerdem profitierten die Männer von der Strukturreform der Deutschen Eisschnelllauf Gemeinschaft (DESG). Seit dieser Saison trainieren Männer und Frauen getrennt voneinander. Die DESG will ihre Männer wieder an die Weltelite heranführen. Deshalb hat man die Leistungsstärksten allesamt nach Berlin beordert. Man erhofft sich davon Synergieeffekte. In den Jahren zuvor dagegen schenkte man den Schlittschuhläufern kaum Beachtung. Sie dienten in erster Linie als leistungsfördernde Sparringspartner für die international so erfolgreichen Frauen.
Diese Zeiten sind nun vorbei, und Tobias Schneider ließ den darüber verärgerten Damen via Medien ein „herzliches Beileid“ ausrichten. Claudia Pechstein, die aufgrund einer Erkältung nur den achten Platz belegte, reagierte scharf. Sie bezeichnete es als dreist, dass sich Schneider nach einem siebten Platz in Heerenveen so weit aus dem Fenster lehne. Dieser, darauf angesprochen, beschwichtigte, er habe sich bei den Frauen schon entschuldigt. „Das Medieninteresse an meiner Person ist neu für mich. Ich habe die Wirkung meiner Worte nicht bedacht“, erklärte er. Nach den jüngsten Erfolgen habe er sich von einer gewissen Euphorie leiten lassen. Auf ein verbales Gefecht will er sich nicht einlassen. Dabei haben gerade solche Dinge dem Sport zu großem Bekanntheitsgrad verholfen.