: Spiel ohne Grenzen
ZOCKEN Ein neuer Betrugsskandal sucht Italiens Fußball heim. Die Spuren führen bis nach Deutschland
„Nun, Kumpel. Hier sehen wir seit Monaten kein Geld. Was sollen wir tun? Können wir uns einigen? Sag es deinen Leuten und so kommen wir zu etwas Geld und es geht weiter.“ Auf diese Weise sprechen sich die Kicker in Italiens unteren Ligen ab, um gemeinsam mit ihren Gegnern Spiele zu manipulieren und die ausfallenden Gehaltszahlungen zu kompensieren.
In der Gazzetta dello Sport hat jetzt ein Spieler ausgepackt. „Am Montag schaut man sich den kommenden Spieltag an und beginnt mit den Telefonaten. Dienstag treffen die ersten Signale ein. Mancher entscheidet sich schon am Mittwoch zu wetten, um Sperren der Wettanbieter zu entgehen. Es ist aber besser, etwas zu warten. Es kann sein, dass Absprachen platzen. Gewöhnlich ist am Freitag das Geschäft perfekt“, zitiert die Gazzetta ihren Zeugen, der selbst einige Zeit mitwettete, dann ausstieg, in einem neuen Klub aber die alten Praktiken wiederentdeckte und sich der Versuchung nicht entziehen konnte. Die Ausfallquote für die am Spiel beteiligten Wettbetrüger ist seiner Erfahrung nach gering.
Nach Auskunft des Insiders wird vor allem in den unteren Ligen derart manipuliert. Seit Jahren gibt es dazu Gerüchte. Immer wieder setzen Wettanbieter einzelne Partien oder sogar ganze Spieltage aus, weil sich verdächtige Indizien häufen. Dass in Italien diese Praxis besonders verbreitet sein könnte, liegt an zwei Elementen: Die Klubs in den unteren Ligen sind oft verschuldet. „Ungefähr die Hälfte aller Vereine der dritten und vierten Liga hat schwerwiegende ökonomische Probleme“, gab kürzlich Mario Macalli, Präsident der für diese beiden Ligen verantwortlichen Lega Pro zu. Viele Klubs können oder wollen die Spielergehälter nicht auszahlen. Kontrollen oder Sanktionen müssen sie kaum befürchten. Zum Teil machen Klubbesitzer beim munteren Zocken sogar mit – wie etwa der Präsident von Potenza Calcio. Der Klub aus der Basilicata ist wegen Wettbetrugs inzwischen von der dritten in die sechste Liga zurückgestuft.
In Kalabrien hat die Camorra das Wettgeschäft in der Hand. In der letzten Woche enthüllte die Untersuchung „Golden Gol“ der Staatsanwaltschaft Neapel, dass der Drittligist Juve Stabia ein willfähriges Instrument für die Geldwäscher und Wettbetrüger des Clans D’Alessandro sei. Laut Aussagen der Staatsanwaltschaft trennten die Mafiosi säuberlich zwischen dem Geld, das „nur“ gewaschen und dem, das gewinnorientiert angelegt und daher mit neuen „Steuern“ belegt wird. Druckmittel auf einzelne Spieler war dabei nackte Gewalt. „Wenn er das Geld nimmt und Juve Stabia nicht gewinnt, müssen wir ihn einfach umbringen“, lautete ein abgehörtes Telefonat zwischen Mafiosi. Einige Morde werden auf Rivalitäten im Wettgeschäft zurückgeführt.
Bereits im Oktober wurde der 33-jährige Stürmer Cristian Biancone wegen Wettbetrugs und Begünstigung des D’Alessandro-Clans festgenommen. Er soll im vergangenen Jahr ein Spiel zwischen Juve Stabia und seinem damaligen Team Sorrento verschoben haben. Ein abgehörtes Telefonat von Biancone führt sogar nach Deutschland: „Sie haben eine ganz verrückte Sache in Deutschland gemacht. Bei den Live-Wetten zu Bochum – Energie Cottbus haben sie in 20 Minuten 1,2 Millionen Euro gewonnen, ein echtes Meisterstück. Das Endergebnis habe ich eine halbe Stunde vorher schon gewusst“, prahlte er vor einem Kompagnon. Die zeitliche Einordnung der Untersuchungen führt zum 3:2-Heimsieg der Bochumer im Februar vergangenen Jahres. Zweimal lagen die Gastgeber zurück. Dank eines durchaus umstrittenen Foulelfmeters in der 79. Minute gelang Bochum schließlich der Sieg. Wie Biancone von dem Strafstoßpfiff schon weit vorher erfahren haben wollte, sollte auch den DFB interessieren. In der 600 Seiten starken Akte von „Golden Gol“ dürfte einiges dazu enthalten sein. TOM MUSTROPH