Schutz vor Nazis kein Vermummungsgrund

Freispruch für Demonstranten aufgehoben: Mit dem Schal vor dem Gesicht soll er sich vor der Polizei versteckt haben

Weil er sich auf einer Demo vor zweieinhalb Jahren nicht von Nazis fotografieren lassen wollte, wurde jetzt ein 31-jähriger Bremer vom Landgericht Verden zu einer Geldstrafe von 100 Euro verurteilt. Das schloss sich der Überzeugung der Staatsanwaltschaft an, wonach der Angeklagte sich nicht wegen der Nazis einen Schal vor das Gesicht zog, sondern um der Identifizierung durch die Polizei zu entgehen. Damit habe er gegen das Vermummungsverbot verstoßen.

Das Amtsgericht Rotenburg hatte vor einem Jahr anders geurteilt und den Jurastudenten frei gesprochen. Auf Aufnahmen der Polizei sei deutlich zu erkennen, dass er sich nur „zeitweise vermummt“ hatte, „um seine Identität vor den Parteimitgliedern der NPD und Sympathisanten der rechten Szene geheim zu halten“, heißt es in der Urteilsbegründung. Das Gericht hielt es für erwiesen, dass die Gegendemonstranten von den Nazis gefilmt und fotografiert wurden. Diese Bilder würden „auf Websites der rechten Szene veröffentlicht“, auf denen „zum Teil ausdrücklich zur Ausübung von Gewalt gegen die porträtierten Personen aufgerufen“ würde, so das Gericht. Und: Es sei anhand des Bildmaterials keine Absicht erkennbar, dass der Angeklagte sich auch vor der Polizei „verstecken“ wollte. Dazu habe „aufgrund seiner friedlichen Teilnahme an der Gegendemonstration“ kein Anlass bestanden. Die Staatsanwaltschaft Verden strengte daraufhin erfolgreich ein Berufungsverfahren an.

Der Anwalt des Bremers will jetzt in nächster Instanz vor das Oberlandesgericht Celle ziehen. „Der Richter hat das Versammlungsgesetz nicht verstanden“, wettert Anwalt Jan Sürig. Das darin definierte Vermummungsverbot stamme aus den 80er Jahren, Digitalfotografie und Internet waren damals noch kein Thema. „Strafbar ist nur, wenn man sich der Identitätsfeststellung durch die Polizei entzieht.“ Sollte das Urteil rechtskräftig werden, hätte dies „fatale Auswirkungen“, glaubt Sürig. „Das bedeutet, dass Polizisten Demonstranten die Tücher vom Gesicht reißen müssen, damit die Nazis ihre Fotoalben füllen können.“ Ein ähnliches Urteil habe es seines Wissens bisher nur in Berlin gegeben, dort hatte das Amtsgericht in erster Instanz eine Frau frei gesprochen. eib