: Gott zeigt nach Hameln
Die erste jüdische Reformsynagoge in Deutschland seit dem Zweiten Weltkrieg soll in Hameln gebaut werden. Die Gemeindevorsitzende setzt auf Spenden, Mouse-Pads und ihren Glauben
VON KAI SCHÖNEBERG
Davon, dass der liebe Gott hinter ihrem Projekt steht, ist Rachel Dohme überzeugt. Die Vorsitzende der liberalen jüdischen Gemeinde in Hameln hat einfach schon zu viele Hinweise dafür bekommen, dass eines Tages alles gut werde mit dem Neubau der Synagoge. Über 60 Jahre nach dem Holocaust soll an der Weser wieder ein jüdisches Gotteshaus gebaut werden. Gestern, im November des Jahres 5767 nach jüdischer Zeitrechnung, wurden die Pläne für den nüchternen Neubau auf dem „Platz der Synagoge“ vorgestellt, wo bis zur Reichspogromnacht 1938 die alte Hamelner Synagoge stand. Es wäre der erste Synagogenbau einer liberalen Gemeinde im Nachkriegsdeutschland.
Einer der vielen „Fingerzeige Gottes“ für Dohme ist Arnold Oppler. Der ist nicht nur der Urenkel des jüdischen Architekten Edwin Oppler (1831–1890), der die 1879 errichtete Hamelner wie auch die ehemalige Synagoge in Hannover baute. Der Architekt aus Washington hat sich bereit erklärt, das neue Gotteshaus zu entwerfen. Oppler, dessen Vater 1939 aus Deutschland floh, meldete sich in Hameln, nachdem er im Internet von den Plänen erfahren hatte. „Dieses Projekt“, sagt er nur, „ist gottgewollt.“
Vor dem Gottesdienst in der neuen Synagoge, die auch ein Gemeindezentrum beherbergen soll, steht aber das Sammeln von Spenden. Denn die liberale jüdische Gemeinde in Hameln ist zwar seit ihrer Gründung vor neun Jahren von 17 auf weit über 200 Mitglieder gewachsen, Zuschüsse von der öffentlichen Hand bekommt sie aber nicht. Für den Bau hat Dohmes deshalb eine Stiftung gegründet. Nach zwei Jahren sei zwar schon eine „beträchtliche Summe im sechsstelligen Bereich“ zusammengekommen. Wie viel genau, wollte Dohme aber auch gestern nicht verraten. Mittlerweile denkt sie schon darüber nach, das Gotteshaus möglicherweise dem Spendensäckel anzupassen – „der Realität entsprechend“.
Nach den bisherigen Plänen soll das neue Haus mit etwa 200 Plätzen etwa 1,5 Millionen Euro kosten. „Für den Bau der alten Hamelner Synagoge wurde im 19. Jahrhundert auch fünf Jahre lang gesammelt“, sagte Dohme gestern. „Warum sollen wir heute weniger Zeit benötigen?“ Bislang hat sich noch kein Groß-Mäzen wie der Verleger Hubert Burda gefunden, der die jüngst eröffnete Münchner Synagoge gesponsert hat. Zudem sind die meisten Gemeindemitglieder Deutsch-Russen, viele davon mit wenig Geld. Immerhin: Als Schirmherren wurden Ex-Ministerpräsident Ernst Albrecht und die Alt-Bischöfe Horst Hirschler und Josef Homeyer gewonnen.
Dohme hofft beim Fundraising auch auf die USA, vor allem auf die Ostküsten-Gemeinden, wo viele Juden mit deutschen Wurzeln leben. Dabei setzt sie auf den auch in Übersee bekannten Hamelner Rattenfänger und die „Glückel von Hameln“, eine deutsch-jüdische Goldhändlerin des 18. Jahrhunderts. Außerdem verkauft die Gemeinde Blätter für einen „Lebensbaum“ und Mousepads, auf denen Ratten mit Kippas zu sehen sind. Und sie sammelt Geld in Büchsen, die die Form der Synagoge haben.
Die Unterstützung vor Ort ist verhalten. Sie begrüße das Vorhaben „und die Verständigung der Religionen untereinander“, sagt Oberbürgermeisterin Susanne Lippmann (SPD). Für einen Zuschuss aber fehlten die Mittel. Damit sorgt die Stadt bei den Juden für Enttäuschung, auch weil der geplante Kauf des Grundstücks für eine symbolische Mark platzte. Die Stadt, die nach dem Krieg umgerechnet 10.000 Euro an eine jüdische Organisation gezahlt hatte, wollte diese Summe für die Überlassung der Fläche zurückhaben. Weitere 10.000 Euro für das Verlegen eines Spielplatzes stifteten immerhin die Stadtwerke. Diese stellten auch ihren Architekten für die Ausarbeitung der Entwürfe frei.
Noch feiern die Hamelner liberalen Juden ihre Gottesdienste in viel zu kleinen Räumen am Bahnhof. Das wird sich ändern, weiß Rachel Dohme: „Wir glauben an die jüdische Zukunft Hamelns.“ Die Synagoge werde „ein Magnet für viele andere jüdische Menschen sein“.