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Archiv-Artikel

Bitte nicht nett lächeln

Mädchen mit 15 sind kein Spaß, denn die Pubertät ist ein komplexes Alter. Gute Jugendbücher erzählen genau davon

Warum müssen Mädchen auf Mädchenbüchern immer lachen? Auf erstaunlich vielen Covern haben Mädchen keine Pickel und ihre Zahnspangenbehandlung bereits abgeschlossen. Sie haben ewig gute Laune, sind locker und unbeschwert. Dabei erzählen die Geschichten eher das Gegenteil. Locker ist im Leben dieser 15-Jährigen nichts außer ihrem Mundwerk. Mädchen mit 15 sind Schwerenöter, sie fühlen sich hässlich und trauen sich nichts, und wenn, dann viel mehr, als sie aushalten können. Trotzdem blicken sie einen auf diese ewig gleiche, nette Art von den Covern an: Bindy, Janey, DJ – coole Namen, süßes Lächeln und dahinter verborgen schwerer seelischer Seegang.

DJ haben sie wenigstens ein witziges Shirt übergezogen. Das Top hat das Muster einer Kuh. DJ kommt nämlich von einer Farm in Wisconsin. DJ wohnt also in der amerikanischen Pampa und trägt nicht nur auf dem Cover ein Kuh-Shirt, sondern nach dem Ausmisten der Ställe riecht sie auch wie eine Kuh. Überhaupt: Irgendwie ist alles an ihr Kuh. So wie bei allen Schwenks: „Wenn wir ein Problem haben, lösen wir es nicht. Wir hören einfach auf zu reden. Genau wie Kühe.“

„Wir Kühe“ spielt in einem ungewöhnlich uncoolen Setting, aber ansonsten fällt es eher durch die typischen Mädchenbuchmacken auf. Füllwörter gibt es hier wie Mist im Stall. Aber während DJ von morgens bis abends schuftet, um ihn sauber zu kriegen, hat die Autorin ihren Mist einfach in den Sätzen liegen lassen. Der Ton bleibt harmlos, wo es für die Heldin des Romans doch um Existenzielles geht: um wahre Liebe, wahre Freundschaft, wahres Leben. Das und nicht ihr Gequake und Gequengel macht Pubertierende interessant. Und das macht auch den Reiz guter Jugendbücher aus: ihre kompromisslose Art, die wirklich wichtigen Fragen zu stellen. Es dauert viele Seiten, bis der Leser zu diesen Fragen kommt. Aber wenn er die Geschichte erst ein bisschen ausgemistet hat, kommt ein Entwicklungsroman zutage, bei dem es nur vordergründig um Ställe, Football und erste Liebe geht. „Wir Kühe“ ist die Geschichte einer inneren Befreiung: DJ schafft es nicht nur als Mädchen ins Footballteam, sie findet auch einen Weg aus ihrer Sprachlosigkeit und Selbstbeschränkung.

Auch in „Sexy“ geht es um Liebe, Sportbegeisterung und Courage. Aber das Erste, was an diesem Jugendroman auffällt, ist das völlige Fehlen jeder verbalen Ranschmeiße. Selbst das Cover ist angenehm lächelfrei. Man merkt sofort: Dieses Buch spielt in einer anderen Liga. Das überrascht nicht, denn die Autorin heißt Joyce Carol Oates. Erst jenseits der sechzig begann die amerikanische Schriftstellerin für Jugendliche zu schreiben und sie tut es mit derselben Klarheit und Komplexität, die auch ihre Erwachsenenromane auszeichnen. Es ist ja ein Irrtum, dass dem Wirrwarr in den Köpfen Jugendlicher ein literarisches Wirrwarr entsprechen müsse. Darren, die Hauptfigur, ist ein guter Schwimmer mit einer guten Schwimmerfigur. Er wird von anderen als „sexy“ wahrgenommen. Alle wollen etwas von ihm, vor allem die Mädchen, aber was will Darren? Der versucht es jedem recht zu machen. Doch als er unabsichtlich Teil einer Intrige gegen den angeblich schwulen Englischlehrer wird, müsste er sich bekennen und gegen seine Freunde Stellung beziehen. Oates weiß, dass das zu viel verlangt ist. Sie lässt ihn scheitern, aber gibt ihm eine zweite Chance, weil ja auch das Leben immer wieder neue Chancen gibt.

Darren ist ein komplexer Charakter, weil die Pubertät ein komplexes Alter ist. Pubertät ist so ziemlich das genaue Gegenteil von lustig, da können die Jugendlichen noch so viele Sprüche klopfen. Deshalb ist Jugendsprache letztlich wenig geeignet, um über Jugendliche zu schreiben. Überhaupt ist die Nähe, die Jugendbuchautoren oft zu ihren Helden und Lesern suchen, eher hinderlich. Komplexität braucht Distanz.

Nicht zufällig hat Oates für ihren Roman eine auktoriale Erzählhaltung gewählt, während typische Jugendbücher wie „Wir Kühe“ oder „Einfach Bindy“ in der Ich-Perspektive geschrieben sind. Deshalb ist nicht gleich alles verkehrt an Büchern wie dieser australischen Mädchengeschichte. Aber die Vertrautheit, welche die Autorin erzeugen will, ist trügerisch. Vertrautheit ist kein jugendliches Gefühl, sondern Fremdheit. Auch deshalb kann eine alte Frau wie Joyce Carol Oates so brillante Jugendbücher schreiben.

ANGELIKA OHLAND

Catherine Gilbert Murdock: „Wir Kühe“. Aus dem Englischen von Gerda Bean. Carlsen Verlag, Hamburg, 271 Seiten, 14 €ĽJoyce Carol Oates: „Sexy“. Aus dem Amerikanischen von Birgitt Kollmann. Hanser Verlag, München, 208 Seiten, 14,90 €ĽAlyssa Brugman: „Einfach Bindy“. Aus dem australischen Englisch von Ulli und Herbert Günther. Hanser Verlag, München, 203 Seiten, 14,90 €