Das Rechenmonster verteidigt sich

Schach-Weltmeister Wladimir Kramnik muss sich trotz Farbenvorteils gegen das Schach-Programm Deep Fritz mit einem Remis zufrieden geben. Der Kampf Mensch gegen Maschine in Bonn geht heute mit getauschten Farben weiter

BONN taz ■ Der Mensch hatte die Maschine beherrscht. Dennoch musste Schach-Weltmeister Wladimir Kramnik zum Auftakt seines mit einer Million Dollar dotieren Zweikampfes mit einem Remis gegen das Programm Deep Fritz zufrieden sein. Nach 47 Zügen war das Brett bis auf die zwei Könige, einen Läufer und einen Bauern abgeholzt, weshalb das Unentschieden unvermeidlich wurde. Heute (15 Uhr) findet in der Bonner Kunst und Ausstellungshalle die zweite der sechs Partien statt.

Den ersten Zug hatte Bundesfinanzminister Peer Steinbrück ausgeführt. Er schob für Kramnik den Damenbauern zwei Felder nach vorne. Der Sozialdemokrat zeigte sich froh, dass er endlich einmal einen Termin habe, wo nicht über Steuern und Finanzen reden musste. Der Besitzer von zwei Schachcomputern wünschte sich, dass hier in Bonn auch einmal eine Weltmeisterschaft stattfindet. Ex-Wirtschaftsminister Werner Müller, mittlerweile Chef von Sponsor RAG, nickte zustimmend. Und Kirsan Iljumschinow reagierte sofort. Flugs stellte der Präsident des Schach-Weltverbandes FIDE und der russischen autonomen Republik Kalmückien im Gespräch mit der taz der Stadt Bonn die WM 2008 in Aussicht. Iljumschinow möchte keine weiteren Millionen Euro für Weltmeisterschaften in seiner Hauptstadt Elista verprassen.

Der Rahmen in Bonn passt: Nebenan läuft die Sonderausstellung der Guggenheim-Sammlung mit Werken von Picasso, Kandinsky und Magritte. Doch auch das Duell Mensch gegen Maschine sorgt für Interesse. Die 350 Plätze waren schnell ausgebucht. „Millionen werden das Match zudem im Internet verfolgen“, sagte Iljumschinow. Der Chef des zweitgrößten Sport-Weltverbandes (165 Verbände) verwies außerdem auf die alternativ stattfindende Ausstellung Schach und Politik.

Iljumschinow hofft natürlich auf Kramnik. Dennoch bewertet der FIDE-Präsident die Chancen der Maschine auf einen Sieg mit 60:40. Er scheint dem seit einem Monat vereinigten und unumstrittenen Weltmeister nicht zu vertrauen. 2002 hatte es in Bahrain noch ein 4:4 gegeben. Kramnik wäre mit dem gleichen Ergebnis wohl zufrieden. Denn seitdem ist Deep Fritz vor allem schneller geworden. Mittlerweile berechnet die beliebteste Software der Hamburger Firma Chessbase auf einem herkömmlichen PC pro Sekunde acht bis zehn Millionen Stellungen. Vor vier Jahren waren es nicht einmal die Hälfte.

Kramnik bestätigte dennoch mit seiner ruhigen Partieanlage, dass er wohl als einziger Profi der Maschine gewachsen ist. Dennoch ließ das Rechenmonster den Russen nicht zur Entfaltung bekommen. Der Weltranglistendritte sah mit den weißen Steinen sogar gewisse Gewinnchancen für sich. Mit einer geschickten Wahl wich der 31-Jährige bereits im siebten Zug von der bisher bekannten Eröffnungstheorie ab, so dass Deep Fritz schon hier nicht mehr auf sein gewaltiges Eröffnungsbuch zugreifen konnte und selbst rechnen musste. Als auch noch mit den Damen die mächtigsten Figuren auf den 64 Feldern getauscht wurden, sank das Gefahrenpotenzial für Kramnik erheblich.

In einem Endspiel mit Springer gegen Läufer versuchte er vergebens, seine bessere Stellung zu verwerten. „Ich besaß immer einen leichten Vorteil, sah aber nicht, wie ich den zum Gewinn ausbauen konnte. Der Computer fand immer die besten Fortsetzungen“, sagte der Weltmeister und ergänzte, er sei weder glücklich noch unzufrieden mit dem Ergebnis.

Der Tostedter Landesliga-Spieler Mathias Feist, der für sein Programm die Züge auf dem Brett ausführte, bestätigte die Einschätzung. Deep Fritz habe sich stets nur minimal mit höchstens Bauerneinheiten im Nachteil gesehen. Der Programmierer strahlte Zuversicht aus: „Das Remis macht uns glücklich. Wenn wir mit Weiß beginnen dürfen, sieht alles ganz anders aus.“ Die Drohung hatte Kramnik durchaus verstanden. „Mit Schwarz ist es viel schwieriger“, räumte er vor dem zweiten Kampf gegen das Rechenmonster ein. HARTMUT METZ