Wird Jürgen Rüttgers siegen?

Nordrhein-Westfalens Ministerpräsident will heute als CDU-Bundesvize wiedergewählt werden. Gleichzeitig wird über seinen Antrag zur Verlängerung des Arbeitslosengelds I für Ältere abgestimmt. Wird der Parteitag der Christdemokraten der große Tag des Jürgen Rüttgers?

JA

Schätzungsweise gegen 17 Uhr, unter Punkt 16.3, wird NRW-Ministerpräsident Jürgen Rüttgers seine Hände siegreich in die Luft werfen: Er wird mit einem guten Ergebnis zu einem der vier stellvertretenden Parteivorsitzenden gewählt und zufrieden auf seinen Stuhl sinken. Die Kameras werden auf ihn schwenken, den grauhaarigen Mann, der die Diskussion in der christdemokratischen Partei in den vergangenen Wochen bestimmt hat. Dies ist seine Stunde. Egal, wie die Delegierten über seinen Antrag zum längeren Auszahlen des Arbeitslosengeldes I abstimmen – Jürgen Rüttgers hat schon gewonnen: Aufmerksamkeit, Bekanntheit, ein warmherziges Image.

Lange Zeit dümpelte Rüttgers als aussichtsloser Oppositionsführer im sozialdemokratischen Stammland NRW. Als die CDU auf ihrem Leipziger Bundesparteitag 2003 ein marktliberales Wirtschaftsprogramm verabschiedete, hielt Rüttgers still. Zwei Jahre später wurde er in NRW gewählt. Seitdem gibt er den Sozialonkel, ein leichtes Spiel in einer Partei, die sich für Steuersenkungen für Besserverdienende und ständige Kontrolle von Arbeitslosen einsetzt. Jetzt hat er es mit seiner Forderung nach längerem ALG I-Bezug geschafft, die Bundesdebatte anzuführen. Dabei erzählt er Altbekanntes: Im bundesweiten Wahlprogramm steht es geschrieben, im schwarz-gelben Koalitionsvertrag aus NRW ist es ebenso nachzulesen. Neu ist nur das soziale Image von Rüttgers. Eine harte Währung für die Akzeptanz seiner Partei: 280.000 WählerInnen wechselten bei der Bundestagswahl 2005 von der CDU zur Linkspartei.

Rüttgers hat es geschafft, Sozialpolitik zu predigen und harsche Kürzungen durchzusetzen. Er hat es geschafft, mit dem kleinen Düsseldorfer Flüchtling Edijan Idic an der Hand auf großen Zeitungsseiten für sein Bleiberecht zu demonstrieren und gleichzeitig dem Flüchtlingsrat die Landesmittel auf Null zu kürzen. Er hat es geschafft, mit seiner aktuellen Forderung nach längerem Arbeitslosengeld die Gewerkschaften hinter sich zu scharen. Auch wenn seine Taten eine kalte Sprache sprechen, der soziale Ruf wird Rüttgers die nächsten Jahre vorauseilen. Denn welcher Wähler, welche Wählerin, erinnert sich 2010 noch an die Kürzungswelle? Hängen bleiben wird der freundlich lächelnde Mann aus Düsseldorf.

ANNIKA JOERES

Fotohinweis:ANNIKA JOERES, 28, ist stellvertretende Redaktionsleiterin der taz nrw. Sie würde nie CDU wählen, egal wie viele Hände Jürgen Rüttgers schüttelt. Das soziale Image hat er absolut nicht verdient. Seine Forderung nach einer längeren Bezugsdauer von ALG I findet sie richtig, schließlich gibt es für ältere Arbeitslose kaum Jobs. Schade nur, dass sie von Konservativen kommen musste

NEIN

Den Poker um die Besserstellung älterer Arbeitsloser wird Jürgen Rüttgers in jedem Fall verlieren. Dabei ist es völlig egal, wie der CDU-Parteitag in Sache entscheiden wird: Solange die große Koalition regiert, wird seine Initiative niemals Gesetz.

Denn die Sozialdemokraten, allen voran Bundesarbeitsminister und Vizekanzler Franz Müntefering, lehnen die Verlängerung des vom letzten Gehalt abhängigen Arbeitslosengelds I kategorisch ab. Um einfach umzufallen, hat die SPD für die Hartz-Gesetze, die die Partei ihres sozialen Markenkerns entkleidet haben und letztendlich zum Sturz der Regierung Schröder führten, einen zu hohen Preis bezahlt. CDU-Kanzlerin Angela Merkel verweist bereits auf den Koalitionsvertrag – der lasse Rüttgers‘ Vorschlägen keine Chance.

Der CDU-Vize weiß das, droht deshalb mit einer Bundesratsinitiative. Die aber ist ein zahnloses Instrument: In der Länderkammer ist keine Mehrheit in Sicht. Wegen absehbarer Kürzungen bei Jüngeren lehnt selbst die Linke Rüttgers‘ Vorstoß ab.

Bleibt der CDU-Bundesparteitag. In Dresden möchte sich der NRW-Ministerpräsident als Politiker stilisieren, der für Sicherheit und Orientierung steht. Doch auch innerhalb der Union hat Rüttgers mächtige Widersacher – so wird Baden-Württembergs Regierungschef Günther Oettinger einen Antrag vorlegen, der Rüttgers‘ Initiative inhaltlich konterkariert. Möglich also, dass der Mann aus Düsseldorf bereits in Dresden scheitert. Innerhalb der CDU hätte sich der Parteivize dann isoliert, vor den Augen der bundesweiten Öffentlichkeit blamiert. Eindrucksvoll hätte der Ministerpräsident des größten Bundeslands ein weiteres Mal bewiesen, das er auf Bundesebene keine Rolle spielt.

Und was, sollten sich die Christdemokraten auf die Verhinderer von der SPD verlassen? Die versprochene „neue Sicherheit“ wird Rüttgers nicht bieten können. Allein aus Gründen der Imagepflege hätte er die Union auf einen Kurs gebracht, der von der eigenen Bundesregierung nicht umgesetzt werden kann. Der praktische Nutzen für die vielzitierten „Menschen im Land“ läge bei Null, und das dürfte sich rächen: Politik ist die Kunst des Durchsetzbaren. Erwartet werden Ergebnisse, nicht Sprechblasen.

ANDREAS WYPUTTA

Fotohinweis: ANDREAS WYPUTTA, 37, ist Chef vom Dienst der taz nrw. Persönlich ist ihm Rüttgers sympathischer als die ehemaligen SPD-Ministerpräsidenten Steinbrück und Clement, die er als landespolitischer Korrespondent erlebt hat. Rüttgers‘ ganz persönliche Hartz-Reform aber lehnt er ab – schließlich geht es dem CDU-Regierungschef nur um Stimmengewinne, nicht um die drohende Verarmung nicht nur der Älteren