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Archiv-Artikel

Ein Pferd ist ein Pferd ist ein Pferd

„Kinder haben größere Lust auf ein Zeichensystem“: Klaus Schumacher, ehemals Leiter des Bremer Moks-Ensembles und derzeit Leiter des Hamburger „Jungen Schauspielhauses“, hat den erstmals verliehenen deutschen Theaterpreis „Der Faust“ bekommen. Am Kinder- und Jugendtheater genießt er die direkte Reaktion des Publikums

taz: Herr Schumacher, worin liegt der Reiz des Kindertheaters? Erwachsenentheater ist doch viel wichtiger!

Klaus Schumacher: Keins von beiden ist wichtiger. Theater findet immer für das Publikum statt, das jetzt da ist. Und im Moment sehe ich, dass das Kinder- und Jugendtheater gut gedeiht. Wobei die Jugendlichen ab 13 so sehr erwachsen sein wollen wie später nie wieder – wodurch sich das Theater für sie stark vom Kindertheater unterscheidet.

Was gedeiht derzeit besser: Kinder- oder Jugendtheater?

Am Hamburger Schauspielhaus spielen wir zu 70 Prozent Stoffe für Menschen ab 13 und zu 30 Prozent für Kinder. Wobei besonders der Jugendtheater-Bereich ein schweres, aber hochinteressantes Feld ist, weil die Distanz zum Theater in dieser Altersgruppe sehr groß ist. Gegen diese Unlust muss man angehen.

Wie denn?

In dem Moment, in dem die Jugendlichen da sind, fangen wir an, Geschichten zu erzählen. Und sobald sie merken, das ist authentisch, da möchte jemand etwas loswerden, und zwar nicht mit belehrenden, sondern mit fragenden Geschichten, erwacht ihr Interesse.

Welche Themen liegen derzeit im Jugendtheater im Trend?

Ich gehöre zu den Theaterleuten, die keinem Trend folgen, sondern erzählen, was ihnen auf der Seele liegt. Das sind meistens Themen, die über Tagespolitisches hinausgehen– wie die Liebe und die Angst vor dem Tod.

Begreifen Sie Ihr Jugendtheater auch als politisch?

Ich begreife Theater grundsätzlich als politisch. Das gilt fürs Kinder- und Jugendtheater genauso wie fürs Erwachsenentheater. Ich glaube, dass Menschen im Theater Erfahrungen machen und sich weiterentwickeln.

Haben Sie Indizien für diese Weiterentwicklung?

Ja, es gibt einen Vorher-Nachher-Effekt. Denn gerade im Theater für Jugendliche übertrifft man die Erwartung, die nicht sehr groß ist, oft bei weitem. Das merkt man daran, dass die Jugendlichen hinterher sagen: Das war ergreifend, toll, cool.

Welche Jugendlichen erreichen Sie?

Eine Mischung. Denn viele kommen im Klassenverband zu uns. Aus Schulen aus verschiedenen sozialen Milieus – vom gediegenen Gymnasium Eppendorf bis zur Gesamtschule im sozialen Brennpunkt Wilhelmsburg.

Ist bei Jugendlichen der Trend zu Zwischenrufen und Ähnlichem stärker?

Es ist ein Publikum, das sehr direkt reagiert. Wenn etwas langweilt, spüren wir das sehr schnell. Und wenn ein Stück funktioniert, entsteht eine spezielle Energie, die im Erwachsenentheater oft fehlt. Der Pegel schlägt weiter aus – in beide Richtungen.

Wird in Deutschland besonders stark zwischen Jugend- und Erwachsenentheater unterschieden?

Ja. Es gibt sowohl in Skandinaviern als auch in den Niederlanden eine fließendere Grenze. Wobei ich derzeit glücklicherweise zwischen den Sparten wechseln kann: Ich inszeniere auch Abendvorstellungen.

Warum sind die Sparten das hierzulande so stark getrennt?

Das hat viel mit Marktwert und dem Feuilleton zu tun. Jugendtheater wird in den Zeitungen seltener besprochen als Erwachsenentheater. In Hamburg kann ich mich diesbezüglich allerdings nicht beklagen.

Sie inszenieren auch Kinderstücke. Ist das besonders schwer? Das Publikum besonders unruhig?

Kinder sind ein offenes, extrem neugieriges Publikum, das Lust hat auf ein Zeichensystem. Wenn ein Gegenstand ein Pferd bedeutet, dann gilt das für den Rest des Abends. Ein Erwachsener kommt da schneller von ab. Diese Konsequenz und Radikalität der Kinder ist etwas sehr Schönes.

Ist auch Ihr Kindertheater politisch?

Ja. Auch hier gibt es die großen gesellschaftlichen Themen wie die Familie – ein großes Thema für Kinder, genauso wie der Tod. Ich habe nie wieder so viel über das Sterben nachgedacht wie zwischen acht und zehn Jahren. Darüber gesprochen wird aber selten. Das können wir im Theater machen. In dem Stück „Dodo und ich“ wiederum beschreibt ein Kind die Trennung seiner Eltern. Es ist wichtig, den Kindern zu zeigen: Du stehst mit deinen Ängsten nicht allein da.