Das Recht auf Hoffnung

THEATER Die Suche nach dem besseren Leben zieht sich wie ein roter Faden durch die Inszenierungen von Armin Petras. Im Berliner Gorki Theater hat er jetzt John Steinbecks „Früchte des Zorns“ inszeniert

Nur wer arm ist, sündigt nicht? Utopien werden eben krude, sobald sie Gestalt annehmen. Das ist ja das Schwierige damit

Es hat etwas Folgerichtiges, dass der Regisseur Armin Petras, dessen Inszenierungen immer wieder von den wüsten Landschaften des Kapitalismus handeln, auf diesen Stoff gestoßen ist: John Steinbecks „Früchte des Zorns“. Denn die Figuren, die auf der Suche nach einem besseren Leben von einer unerschütterlichen Hoffnung angetrieben werden, dass sie darauf auch ein Recht haben, umgibt Petras stets mit einer Aura der Unverletzlichkeit. Damit hat er auch die zynischsten Kritiker in ihre Schranken und auf die Frage hingewiesen, ob in der Naivität dieser Betrachtungsweise nicht etwas Rettendes wohnt.

Steinbecks Roman spielt in den Jahre der Weltwirtschaftskrise um 1930. In seinem Zentrum steht eine in Not geratene Farmerfamilie, die eine menschengemachte ökologische Katastrophe mit Zehntausenden von Leidensgenossen aus dem verdorrten, von Sandstürmen verwüsteten Oklahoma westwärts nach Kalifornien ziehen lässt: ins Land der Orangenhaine, wie sie hoffen, und der grenzenlosen Jobangebote.

Feuer in der Eisentonne

Das Anfangsbild der Inszenierung im Gorki Theater Berlin ist toll: Da reißt die junge Matriarchin der Familie das Packpapierhaus ein, das ihnen keinen Schutz mehr bieten kann, und verbrennt die knisternden Planen in einer Eisentonne. Nun sind die Zelte abgebrochen, ist der Blick freigeräumt auf eine asphaltfarbene Theaterschräge, die Olaf Altmann auf die Bühne von Berlins kleinstem Staatstheater gebaut hat. Nach hinten wird sie von einer Leinwand begrenzt, auf die als Bild grenzenloser Freiheit manchmal Schwärme flatternder Wildgänse projiziert werden.

Hier lebt für den Rest des Abends nun die Familie Joad: Großeltern, Eltern und erwachsene Kinder, ein Schwiegersohn und ein Prediger, der seinen Glauben verlor. Auf der Straße, die sie in ein besseres Leben führen soll, gruppiert sie Armin Petras immer neu zu kurzen Szenen, um sie am Ende ins Elend stürzen zu lassen. Ihre Hoffnung oder ihre Würde jedoch bleiben unangetastet.

Am Ende erzählt Regine Zimmermann als Joad-Tochter Rosasharn leise den berühmten ikonografischen Romanschluss: Die junge Frau, die gerade ihr Baby verloren hat, gibt einem Verhungernden die Brust. Wenn man sich auch selbst nicht retten kann, so die messianische Botschaft, kann man trotzdem die Welt retten.

Von dieser Aura beleuchtet lässt Armin Petras seine Steinbeck-Figuren agieren, die natürlich reine Petras-Figuren sind: Während Steinbecks Roman mit biblischer Wucht Parallelen zwischen den westwärts wandernden Arbeitsmigranten und den alttestamentarischen, durch die Wüste ins Gelobte Land irrenden Israeliten zieht, sind es bei Petras jetzt die Ossi-Oakies, die immer noch in die gefühlte Richtung von Helmut Kohls blühenden Landschaften tappen.

Das aber ist natürlich längst ein ebensolches Klischee, wie die breitbeinigen Bilderbuchamerikaner, denen wir den Abend über begegnen können. Und es ist auch ein Klischee, das manchem Westler in seinen abgewrackten und bankrotten Westkommunen angesichts der proper sanierten Oststadtkerne die Tränen in die Augen treiben kann, denkt man auch einmal kurz im Zuschauersessel. Auch dass Petras vielleicht mal ein Theater weit, weit im Westen leiten müsste: Auch dort ist längst überall wüstes, utopieloses Land aus blühenden Wirtschaftswunderlandschaften geworden.

Man folgt dann aber doch mit einiger Empathie der typischen Petras-Melodramatik, den dahingetupften Bildern, eingestreuten live gesungenen Country- und Westernsongs sowie herzzerreißenden Charakteren in diesem schrulligen Märchenland dieses Berlin-Mitte-Amerika.

Der großartigen Julischka Eichel zum Beispiel, die – als sehr jung besetzte Mutter Joad – ihre Energie in den Zusammenhalt ihrer in Tod und Unglück abstürzenden Familie investiert. Max Simonischek, der die berühmte Figur des Joad-Sohns Tom spielt, von Aino Laberenz stilecht mit weiten Hosenträgerhosen, schweren Stiefeln und Schiebermütze ausstaffiert. Voller Tatendrang baut er sich immer wieder mit dem Spaten überm Kreuz und darüber gehängten Armen in lässiger James-Dean-Pose vor uns auf. Am Ende ist das weiße Hemd rot vom Blut derer, die er mit diesem Spaten im Zorn erschlagen hat.

Naserümpfen über Haus und Kühlschrank

Denn die Leute, das lernen wir an diesem Abend auch, wollen ein besseres Leben, weil sie konsumieren wollen. Dazu gehört die kleine Joad-Schwester Ruthie, selbst wenn sie sich dafür an den Leiter des Migrantenlagers verkaufen muss. Ihre Schwester Rosasharn träumt von Auto, Haus und Kühlschrank, der am Ende als eisiges Utopiemonument auch auf die Bühnenschräge gewuchtet wird.

In diesem Moment spürt man ein leichtes Naserümpfen über einen derart konsumistisch orientierten Utopiehorizont. Zuvor ist die ganze Joad-Familie wie in einem Traum von sich selbst in einem besseren Leben in bürgerlich-saturierter Kleidung an die Rampe getreten, um gleich so bösartig wie die böse Welt zu wirken, die ihnen den Abend über so übel mitgespielt hat.

Nur wer arm ist, sündigt nicht? Utopien werden eben krude, sobald sie Gestalt annehmen. Das ist ja das Schwierige damit.

ESTHER SLEVOGT