: Gequetschte Köpfe
Ästhetisch sein für die Götter oder für die Talkshow? Die Ausstellung „Schönheit im alten Ägypten“ in Hildesheim spannt einen Bogen vom 3.000 Jahre alten Mumienkult bis zur plastischen Chirurgie
INTERVIEW: PETRA SCHELLEN
taz: Frau Lembke, wie haben Sie für Ihre Ausstellung „Schönheit“ definiert?
Katja Lembke: Wir fangen da an, wo der Besucher steht – beim eigenen Spiegelbild. Dann wird er weitergeführt zu der Frage „Was ist Schönheit heute?“, um zu reflektieren, was wir heute unter Schönheit verstehen. Dazu gibt es einen kleinen Film mit Vorher-Nachher-Bildern aus der plastischen Chirurgie und einigen Sentenzen, die äußere und innere Schönheit reflektieren. Außerdem bieten wir einen Audioguide mit dem Interview eines Schönheitschirurgen. So vorbereitet, kann man sich dann einlassen auf die Frage, was Schönheit im alten Ägypten bedeutete. Hier wiederum haben wir drei Schwerpunkte gesetzt: Schönheit in Form und Maß, Schönheit in Alltag und Fest – sowie Schönheit für die Ewigkeit. Schon diese Themen zeigen, dass Schönheit ein existenzielles Element der ägyptischen Kultur war und daher deutlich weiter gefasst werden muss, als wir es heute tun.
Wie weit denn?
Schönheit ist ein sehr komplexer Begriff. Sie begann in Ägypten beim Namen, es gibt Herren mit dem Namen „Nefer“ – Herr Schön – oder Nefertiti beziehungsweise Nofretete „die Schöne ist gekommen“. Außerdem war wichtig, wie sich die Menschen gepflegt und gekleidet haben: Hat man die Hygienevorschriften beachtet, hat man die dem Amt angemessene Kleidung an? Es geht aber auch um innere Schönheit. Man hat sich entsprechend moralischen Vorstellungen zu verhalten. Und dies wird im Totengericht abgefragt, im Rahmen eines negativen Sündenbekenntnisses. Das heißt, man musste aufzählen, welche Untaten man alle nicht begangen hatte.
Die ägyptische Kunst wird ja von strengen formalen Vorgaben beherrscht. Kann man sagen, es gab eine Art gleichgeschalteter Schönheit?
Kann man in gewisser Weise so sagen. Es gab viele Konventionen, an die die Künstler und Handwerker gebunden waren.
Gab es auch im alten Ägypten wechselnde Moden bezüglich der Definition von Schönheit?
Es gibt einmal den durchgehenden Proportionskanon, der im Alten Reich gebildet wurde und bis in die römische Zeit hineinreichte, also über 3.000 Jahre lang gültig war. Innerhalb dieses Kanons gibt es aber Abweichungen. Unsere Ausstellung erlaubt hier dezidierte Vergleiche: Wie sah ein schöner Mann, eine schöne Frau im Alten, Mittleren und Neuen Reich aus? Einerseits gibt es da eine Kontinuität, einen gewissen Stillstand, andererseits aber auch eine Lebendigkeit im Detail.
Folgt diese Veränderung des Schönheitsideals einem System?
Ja, vor allem bei der Darstellung des Gesichts. Im Alten Reich gab es ein Ideal, das vollkommen zeitlose Gesichter vorsah. Fast könnte man meinen, es gehe um jugendliche Darstellungen, weil sie keine Falten haben. Aber eigentlich geht es um Zeitlosigkeit. Im Mittleren Reich gibt es dann schon mal die in Falten gelegte Stirn, die konzentriert blickenden Augen und Alterszüge im Gesicht. Dies war aber nicht negativ gedacht, denn diese Darstellungen entsprachen einem positiven Verständnis vom Alter in dieser Zeit. Das Altersbildnis zeigt den vollkommenen Menschen – gerade, weil er über Erfahrung verfügte. Im Neuen Reich wurde dann – Nofretete ist das bekannteste Beispiel – das jugendliche Bildnis zum Schönheitsideal.
Wie verhält es sich mit dem Schönheitsideal, das Echnaton erfand – fast weibliche Proportionen auch für die Männer und unnatürlich gelängte Hinterköpfe?
Es gibt in der Tat diese Prinzessinnendarstellungen, die einen stark gedehnten Hinterkopf haben. Und es gibt Untersuchungen, die darauf hinweisen, dass man die Köpfe der Kinder manipuliert hat – ähnlich, wie die Chinesen, die weiblichen Babys die Füße einbanden, damit sie klein blieben. So scheinen es die Ägypter mit den Köpfen ihrer Prinzessinnen gemacht zu haben.
Der Pharao, der ja auch oberster Priester war, hat das Schönheitsideal also Epoche für Epoche neu bestimmt?
Im Prinzip schon, aber es war nicht so, dass er gesagt hat: Ab sofort machen wir es so und so. Das sind Entwicklungen, die in einem breiteren Zusammenhang zu sehen sind – politisch, wirtschaftlich, sozial. Eine wichtige Rolle spielt auch die Frage: Woher stammt das jeweilige Herrscherhaus, aus Ober- oder Unterägypten, und welche Tradition herrschte da jeweils? Das Neue Reich zum Beispiel hat sich zu einer regelrechten Festkultur entwickelt. Die großen Tempel – Luxor und Karnak etwa – sind in dieser Zeit entstanden. Dort fanden gigantische Prozessionen statt.
Sie sprachen eben von den jugendlichen Bildnissen des Neuen Reichs. Könnte man die als Vorläufer des heutigen Jugendkults bezeichnen?
Das, was seit etwa 1500 vor Christus im Neuen Reich passierte, ist schon ein Jugendkult, das kann man sicher so sehen.
Ist ein Ziel Ihrer Ausstellung, Zweifel zu säen, auch am heutigen Schönheitsideal?
Zweifel säen ist zu viel gesagt. Wir wollen aber schon dazu animieren, über das eigene Schönheitsideal nachzudenken. Sich zu überlegen, welche Rolle äußere – siehe Schönheitschirurgie – und innere Schönheit heute noch spielen.
Die alten Ägypter hatten ja auch die Idee des Schönseins für die Ewigkeit. Das ist heutzutage schwer zu vermitteln.
Das versuchen wir durch unser Begleitprogramm, in dessen Rahmen auch ein Bestatter sprechen wird. Denn es gibt sehr unterschiedliche Arten, mit dem Tod umzugehen. Ich denke da an die aktuelle Zunahme anonymer Bestattungen, die darauf hindeutet, dass viele Menschen nur noch das Diesseits als Wirkungsstätte betrachten, und dass danach nichts mehr kommt. Für die Ägypter wäre das undenkbar gewesen. Feuerbestattungen gab es damals nicht, sondern man hat versucht, den Körper so lange wir möglich zu erhalten. Mumifizierung war Teil des Konzepts Schönheit.
Wenn Sie den Bogen vom alten Ägypten bis heute schlagen: Würden Sie sagen, es gibt irgendeinen Trend in der Entwicklung des Schönheitsbegriffs – weg von der Symmetrie, hin zum Individualismus zum Beispiel?
Das ist allgemein schwer zu beurteilen. Interessant ist aber eine Facette, die wir auch in der Ausstellung präsentieren: Fremde in Ägypten – will sagen: Was passierte, als die Griechen und später die Römer nach Ägypten kamen und ihren Begriff von Schönheit dort hineinbrachten? Hier kann man beobachten, dass nicht mehr naturalistische, sondern individuelle Gestalten mit dem ägyptischen Statuentypus verbunden wurden. Denn auch wenn die Griechen und Römer die Achsensymmetrie und bestimmte Konventionen übernommen und weitergetragen haben – die byzantinische Muttergottesdarstellung geht letztlich zurück auf Isis mit ihrem Kind auf dem Schoß –, gab es doch in puncto Präsentation Verschiebungen. Denn Griechen und Römer haben die Statuen nicht mehr im unzugänglichen Bereich von Tempeln und Gräbern aufgestellt, sondern entlang von Straßen. Die Figuren dienten also der Repräsentation. Das war ein wichtiger Wendepunkt vom Verborgenen zum Offenen. Und war gleichzeitig der Anfang vom Ende der alten ägyptischen Schönheit.
Die Ausstellung „Schönheit im alten Ägypten – Sehnsucht nach Vollkommenheit“ ist noch bis zum 1. Juli 2007 im Hildesheimer Roemer- und Pelizaeus-Museum zu sehenwww.rpmuseum.de