: Kongos zahnlose Freiheitswächter
Justiz und Medien in der Demokratischen Republik Kongo sind keine unabhängigen Kontrollinstanzen. Der Grund: Korruption, Geldmangel, politische Einflussnahme
KINSHASA taz ■ „Die Justiz im Kongo ist tot“, sagt Maurice Kedinshiba. Der nachdenkliche Jurist hat aus Frust seine Richterrobe aufgehängt und ist jetzt Menschenrechtsanwalt. „Es herrscht Straflosigkeit, weil niemand die Verbrechen verfolgt, die Menschen mit Geld und Einfluss begangen haben. Die Bevölkerung hat kein Vertrauen in die Justiz.“
Justiz ist wie alles in Kongo vernachlässigt und zerfallen. Die belgischen Kolonialherren, die das Land vor 1960 regierten, sahen für Kongo 180 Gerichte vor – heute gibt es 60, bei 60 Millionen Einwohnern. Die Belgier waren der Meinung, dass der Kongo 5.000 Richter brauche; heute gibt es nur die Hälfte dieser Zahl.
„Auch gibt es einen großen Mangel an Gesetzbüchern, Büromaterial und selbst Gebäuden. Viele sind nur noch Ruinen“, meint Harriet Solloway, Chefin der Justizabteilung der UN-Mission im Kongo (Monuc). Die Kanadierin berät die Regierung über den Aufbau des Rechtssystems und ist frustriert über die langsamen Fortschritte. „Es ist zu wenig erreicht worden. Die Justiz muss die Regierung kontrollieren und ist dazu noch nicht in der Lage.“
Ein wichtiger Grund dafür ist, dass die Justiz käuflich ist. Ein Richter verdient zwischen 300 und 500 Euro im Monat. „Das ist zu wenig, um die Kinder in die Schule zu schicken und mit dem Bus zur Arbeit zu fahren“, meint Jean Louis Esambo, ein amtierender Richter in Kinshasa. „Was macht man in so einer Lage? Für viele ist es eine Wahl zwischen Unabhängigkeit und leerem Magen.“ Richter Esambo selbst ist in einer besseren Situation, weil er auch an der Universität unterrichtet und seine Frau ebenfalls einen Job hat. Sein Reformvorschlag: „Wir sollten selbst ein Budget aufstellen mit vernünftigen Gehältern sowie Geld für Büroausstattung und Gebäuderenovierung. Das Parlament muss dann das Budget prüfen. Nur dann werden wir unabhängig genug, um die Regierung kontrollieren zu können.“
Eine andere wichtige Kontrollinstanz in der Gesellschaft müssten Kongos Medien sein. Es existieren im Land 176 Zeitungen und Zeitschriften, 119 Radiosender und 52 Fernsehsender. Aber Quantität ist nicht gleich Qualität. Journalisten lassen sich kaufen, genau wie Richter. Ein Journalist verdient zwischen 35 und 80 Euro pro Monat. „Ich liebe meinen Beruf“, erklärt der 29-jährige Primo Nzele. „Aber Journalist sein bedeutet, dass ich Junggeselle bleiben muss. Ich möchte zwar heiraten, aber mit meinem Gehalt kann ich keine Familie ernähren.“
Simon Kabamba ist Chef der Radioabteilung des Senders RTGA, der einem mit Präsident Kabila befreundeten Politiker gehört. „Wir wissen, dass Kollegen manchmal Geld nehmen, um einer Geschichte einen bestimmten Ton zu geben. Auch weichen Journalisten politischem Druck“, gibt er zu. Die meisten Medien sind einer Partei oder einzelnen Politikern verbunden. Während der Präsidentenwahlen nutzten die Kandidaten Joseph Kabila und Jean-Pierre Bemba ihre jeweiligen TV- und Radiosender für den Wahlkampf. „Wir haben Bemba ein paarmal in der Sendung gehabt, aber haben keine Werbung von ihm gesendet“, erklärt Kabamba. „Das heißt nicht, dass wir nicht unabhängig sind. Wir widerstehen öfter dem Einfluss unseres Eigentümers, auch wenn er ein guter Freund des Präsidenten ist.“
Maurice Blondel, Chefredakteur von Bembas Fernsehsender CCTV, verteidigt seine Parteilichkeit. „Wir mussten Bemba öfter bringen, weil das Staatsfernsehen und RTGA ihn ignoriert haben. Aber es war keine Propaganda.“ Die Redaktion von CCTV ist voll und laut. Im zweiten Stock wird ein neuer Redaktionssaal eingerichtet, dazu Radio- und Fernsehstudios. Das ganze Stockwerk war vor drei Monaten durch einen Bombenanschlag vernichtet worden. Die Täter werden unter den Anhängern von Präsident Kabila vermutet.
John Ngombua ist politischer Kommentator beim ältesten kommerziellen Fernsehsender Antenne A, der sich als unabhängig versteht. „Manche Kollegen spielen ein gefährliches Spiel“, sagt er. „In einer so explosiven Lage wie jetzt sollte man die Bevölkerung nicht dazu aufrufen, auf die Straße zu gehen, um dem Gegner eine Lektion zu erteilen. Der Einfluss vor allem des Radios wird unterschätzt. Schon haben Kollegen vergessen, wie in Ruanda Hassradio zum Völkermord beigetragen hat.“
ILONA EVELEENS