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Archiv-Artikel

Mit Fracking und Effizienz gegen Putin

VERSORGUNG Russland und die Ukraine schaffen es nicht, ihren Gasstreit beizulegen – trotz EU-Vermittlung. Die Europäische Kommission stellt heute ihre Strategie zur Energiesicherheit vor. Spitze gegen Merkel

„Die EU muss ihre energie- und klimapolitischen Ziele erhöhen“

REINHARD BÜTIKOFER, GRÜNE

BERLIN taz | Die EU macht Ernst mit langfristigen Konsequenzen aus der Ukrainekrise: Am heutigen Mittwoch präsentiert EU-Energiekommissar Günther Oettinger in Brüssel ein Strategiepapier zur Energiesicherheit in Europa. Die Staatengemeinschaft will sich damit schneller von der Abhängigkeit russischer Energielieferungen lösen.

Der taz liegt eine Vorabversion des 20-seitigen Papiers vor. Zunächst will sich die EU darin für den nächsten Winter besser wappnen, etwa durch mehr Gasvorräte, besonders im Baltikum, das zu 100 Prozent von russischem Erdgas abhängt. Mittelfristig will die EU Staatsunternehmen wie Gazprom den Kampf ansagen: Ein Kapitel widmet sich dem „Schutz kritischer Infrastruktur“, die vor dem Zugriff von Staatskonzernen, Staatsbanken und Staatsfonds aus Nicht-EU-Staaten geschützt werden soll, wenn diese die Diversifikation der EU-Versorgung behindern. Langfristig sollen auch heimische fossile Rohstoffe besser ausgebeutet werden. Explizit erwähnt werden Fracking-Gas und der Import dieses Gases aus den USA im Zuge des umstrittenen Freihandelsabkommens TTIP.

Doch auch die Energiewende spielt eine Rolle. „Langfristig ist die Energiesicherheit der EU untrennbar verbunden mit der Entwicklung hin zu einer wettbewerbsfähigen, CO2-armen Wirtschaft“, heißt es in dem Papier. Mittelfristig will die EU-Kommission die Energieeffizienz schneller verbessern als geplant. So sollten die EU-Abgasnormen nochmals überdacht werden, die den Verbrauch von Neuwagen ab 2020 senken soll. Sie ist erst im vergangenen Jahr unter Einsatz von Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) und auf Druck der deutschen Autoindustrie hin deutlich verwässert worden.

Allerdings traut sich die EU-Kommission nicht, ein explizites, europaweites Ziel zur Energieeffizienz zu fordern. Das fehlt auch in den klima- und energiepolitischen Zielen bis 2030, die derzeit verhandelt werden. „Wenn die EU von russischem Gas unabhängiger werden will, muss sie vor allem ihre energie- und klimapolitischen Ziele für 2030 massiv anschärfen“, sagt der Grüne EU-Abgeordnete Reinhard Bütikofer. Er kritisiert zudem, dass die EU statt auf erneuerbare Energien in ihrer Strategie auf Freihandel und TTIP setzt. „Das ist der komplett falsche Weg“, sagt Bütikofer.

Das Strategiepapier weitet nun aus, was die EU bereits seit der Gaskrise im Januar 2009 versucht. Damals stellte die russische Gazprom für 20 Tage Erdgaslieferungen für die Ukraine ein, und in der Folge leitete das Land kaum noch Gas nach Europa weiter. Österreich, Ungarn, Italien, Serbien, Bulgarien, Griechenland oder die Türkei fürchteten um ihre Versorgung, in Südeuropa saßen Menschen in kalten Wohnungen, die Slowakei rief damals den Notstand aus. Seitdem verfolgt die EU die Strategie, sich gegen weitere derartige Ausfälle zu wappnen: beispielsweise durch Gasspeicher. Zudem können die Gasleitungen nun auch den Rohstoff von Westen nach Osten leiten, falls Russland nicht liefert.

Das könnte bald passieren: Am Montag hatte Oettinger vergeblich versucht, zwischen der Ukraine und Russland zu vermitteln, die sich um Altschulden streiten. Die Ukraine steht bei Gazprom mit mindestens 2,5 Milliarden US-Dollar für vergangene Lieferungen in der Kreide. Die EU schlägt vor, das Land solle bis Donnerstag 2 Milliarden Dollar begleichen, weiter 500 Millionen eine Woche später. Die Ukraine will das nur akzeptieren, wenn Russland die Gaspreise wieder reduziert. Nun droht Moskau mit Lieferstopp. Am Dienstag sah es nicht nach einer Einigung aus: Die Ukraine forderte nun eine Milliarde Dollar von Moskau, angeblich der Wert des Gases, den sich Russland bei der Annexion der Krim mit einverleibt hat. INGO ARZT