piwik no script img

Archiv-Artikel

Die Pflicht zur Intervention

Die UNO und die afrikanischen Staaten haben sich zur Einmischung verpflichtet, wenn die Menschenrechte akut bedroht sind. Dieses Prinzip steht in Darfur auf dem Spiel

In Uganda, Burundi und der DR Kongo sind kriegerische Konflikte erfolgreich eingedämmt worden Deutschland kommt im Darfur-Konflikt eine Schlüsselrolle zu. Es sollte mit gutem Beispiel vorangehen

In der Vergangenheit galt für afrikanische Politiker als oberstes Gebot, sich nicht in die inneren Angelegenheiten eines anderen afrikanischen Landes einzumischen. Erst in den letzten Jahren haben sie sich von diesem Prinzip verabschiedet und zahlreiche Militärmissionen innerhalb Afrikas durchgeführt. Im vom Bürgerkrieg geteilten Elfenbeinküste haben sie sogar, im Auftrag der UN, die Aufsicht über die Zukunft des Staates übernommen. Dieser fundamentale Politikwechsel zeigt sich auch in der Charta der Afrikanischen Union, die die Organisation für Afrikanische Einheit ablöste.

In der Charta ist eine Verantwortung zur Einmischung festgeschrieben, wenn Menschen in großer Gefahr sind. Dieses Prinzip kommt dem 2005 auf dem UN-Gipfel nach langen Verhandlungen verabschiedeten Konzept „Responsibility to Protect“ (R2P) nahe. Demnach kann die internationale Gemeinschaft zum Mittel der militärischen Intervention greifen, um die Menschenrechte zu schützen, und zwar auch ohne Zustimmung des betroffenen Staates.

In Darfur ist es den Afrikanern bislang nicht gelungen, den Krieg zu beenden. Schlimmer noch, nun hat der Konflikt sogar die Nachbarstaaten Tschad und Zentralafrikanische Republik erreicht. Damit droht einem großen Teil Afrikas die Instabilität. Ein Grund dafür ist die zögerliche Haltung sowohl der Afrikanischen Union als auch der internationalen Gemeinschaft. Nachdem 2003 der Konflikt zwischen der Regierung in Khartum und verschiedenen Rebellengruppen eskalierte, gelang es erst 2004, afrikanisches Militär (AMIS) in Darfur zu stationieren.

Lange Zeit hatte sich die sudanesische Regierung dagegen gestemmt: Sie stimmte erst zu, als für sie klar war, dass die 7.000 schlecht ausgestatteten, vorwiegend afrikanischen Soldaten nicht in der Lage sein würden, die Region zu kontrollieren. Das Töten und die Vertreibungen gingen daher trotz der Präsenz ausländischer Truppen weiter. Bis heute wurden in Darfur rund 400.000 Menschen getötet und mehr als 2 Millionen Bewohner aus ihrer Heimat vertrieben.

Trotz dieses Desasters setzt die Politik in Afrika, Europa und den USA weiter nur auf Routinediplomatie. Im Mai 2006 drängte man auf den Abschluss eines Friedensvertrags, doch nach dessen Abschluss nahmen die Kämpfe sogar noch zu. Der Vertrag war allzu eilig von der AU, den USA und der EU betrieben worden, da man fälschlicherweise annahm, dass dann der Weg für die Entsendung von UN-Truppen frei sei. Von fast allen Rebellengruppen und der Bevölkerung in Darfur wurde der Vertrag jedoch abgelehnt: Er war für sie schon deshalb inakzeptabel, weil die Entschädigung der Opfer, die ihr Vieh, ihre Häuser, Ernten und ihren Hausrat verloren hatten, mit umgerechnet nur etwa 12 US-Dollar pro Kopf viel zu gering ausfiel. Darüber hinaus traute die Bevölkerung nicht den Beteuerungen der sudanesischen Regierung, die Janjaweed-Milizen zu entwaffnen, die für die ethnischen Vertreibungen verantwortlich sind. Denn dies hatte die Regierung Sudans in der Vergangenheit schon mehrfach zugesichert, ohne etwas zu unternehmen.

Die Regierung in Khartum kann sich auf die fehlende Entschlossenheit der USA und der EU verlassen: Man weiß um die Schwäche der USA, die in Irak und Afghanistan militärisch gebunden sind, und um den Unwillen der EU, sich militärisch zu engagieren. Schließlich erlebt Großbritannien in Afghanistan und Irak gerade ein militärisches Desaster. Und Frankreich wird ohne Deutschland, das nach den Erfahrungen in Afghanistan ebenfalls zögert, militärisch nicht eingreifen.

Die jüngste Zusicherung des Sudan, nun einer gemischten UN/AU-Truppe zustimmen zu wollen, ist wohl nur ein weiterer Schachzug, um Zeit zu gewinnen. Umfangreiche und robuste UN-Truppen wird das Regime nicht ins Land lassen, da es damit seine Kontrolle über Darfur verlieren würde. In der Zwischenzeit können die ethnischen Säuberungen in Darfur ungehindert fortgesetzt werden, bis das Regime in Khartum die Region vollständig beherrscht.

Deutschland kommt in der Beendigung des Konflikts eine Hauptrolle zu: Es muss sich für eine Stationierung eigener Soldaten im Rahmen einer UN-Mission aussprechen, damit sich auch Frankreich und weitere europäische Länder zu diesem Schritt bereit erklären. Die Minister Wieczorek-Zeul und Jung haben richtigerweise bereits ihre Bereitschaft zu einer solchen Entsendung deutscher Truppen signalisiert. Darüber hinaus muss die EU für ein gemeinsames Ultimatum mit AU und USA werben, das eine Intervention auch ohne Zustimmung des Sudans vorsieht. Die jüngste UN-Resolution 1706 zu Darfur verweist auf das Konzept R2P.

Wenn der Krieg in Darfur nicht beendet wird, ist das Konzept R2P, das die individuellen Menschenrechte im Völkerrecht gegenüber der Staatsmacht stärkt, bereits jetzt nichts mehr wert. Und je länger der Konflikt in Darfur fortdauert, desto mehr wächst die Gefahr, dass die gesamte Region destabilisiert wird. Das muss verhindert werden, um die jüngsten Erfolge in Afrika nicht zu gefährden. Diese zeigen sich in einem höheren Wirtschaftswachstum und einem Rückgang der Armut in einigen Ländern sowie in einer deutlichen Eindämmung der zahlreichen kriegerischen Konflikte, die Afrika so lange im Würgegriff gehalten hatten.

Weitere Konflikte könnten in nächster Zeit endlich ein Ende finden: In Uganda etwa haben sich die Regierung und die Rebellen der „Lord Resistance Army“ gerade auf ein Waffenstillstandsabkommen verständigt. Seit 1987 sind im verwüsteten Norden des Landes mehr als 12.000 Menschen getötet worden. 2 Millionen Menschen wurden vertrieben, und 20.000 Kinder wurden entführt. In Burundi haben die verbliebenen Rebellen im September ein Friedensabkommen mit der Regierung geschlossen. Dieser Konflikt hatte seit 1993 mehr als 300.000 Tote gefordert.

Und im Nachbarland DR Kongo, wo seit 1998 ein Krieg tobte, der wohl 4 Millionen Menschen das Leben kostete? Vielleicht gelingt es nach dem Wahlsieg von Präsident Joseph Kabila, das Land nachhaltig zu stabilisieren – wenn die internationalen und europäischen Truppen so lange für Ruhe sorgen, bis eine Regierung der „nationalen Einheit“ unter Einschluss des Konkurrenten Jean-Pierre Bemba gebildet wird, die beide Seiten befriedigen kann.

Der erfolgreiche Eindämmung der Kriege und Konflikte in Afrika geht auf die Anstrengungen afrikanischer Regierungsführer zurück, die vom Prinzip der Nichteinmischung Abstand genommen haben. Zudem ist sie den Hilfen der internationalen Gemeinschaft zu danken – vor allem der EU, die einen wesentlichen Beitrag geleistet hat, indem sie sich an UN-Interventionen beteiligt, afrikanische Friedensmissionen teilweise finanziert und eine gemeinsame afrikanische Sicherheitspolitik fördert. Das Konzept ist erfolgreich. Es sollte endlich auch in Darfur umgesetzt werden.

ARMIN OSMANOVIC