: Konkrete Fälle sind nicht bekannt
Es stimmt: Im Krieg gab es Mudschaheddin in Bosnien. Doch Entführungen durch die USA waren nie ein Thema
SARAJEVO taz ■ Schon zu Beginn des Krieges 1992 sickerten islamische Extremisten nach Bosnien und Herzegowina ein. Sie kamen aus Ägypten, Algerien oder anderen islamischen Ländern und reisten als Begleiter von Hilfskonvois oder einfach mit dem Bus über Kroatien ein. Unter ihnen waren ehemalige Afghanistan-Kämpfer, die den von serbischen Armeen bedrängten Glaubensbrüdern in Bosnien und Herzegowina beistehen wollten. Andere wurden in ihrer Heimat als Islamisten politisch verfolgt. Manche waren einfach Abenteurer oder Agenten islamischer Staaten.
Nach Angaben des damaligen Oberkommandierenden der bosnischen Armee, Sefer Halilović, umfasste das Konglomerat etwa 1.000 Personen. Die Freiwilligen waren militärisch keineswegs eine große Hilfe, wurden aber von der Bevölkerung zunächst freundlich empfangen. Erst als die „Mudschaheddin“, wie die Bosnier die Freiwilligen nannten, begannen, den Bosniern angesichts unverschleierter Frauen und Alkoholkonsums in ihrem Land vorzuwerfen, keine guten Muslime zu sein, verschlechterte sich das Verhältnis. Zudem wandten sich die Mudschaheddin auch gegen die vielen bosnischen Serben und Kroaten, die zusammen mit den Muslimen für ein multiethnisches Bosnien kämpften. Darauf mussten die politische und die militärische Führung Bosniens reagieren: Ab Herbst 1992 wurden die Mudschaheddin in zwei Brigaden des III. Armeekorps der Bosnischen Armee eingegliedert. Nach dem ab April 1993 erfolgten Angriff der bisher verbündeten Kroaten radikalisierten sich die bosnischen Muslime. Sefer Halilović, der weiterhin an einer multiethnischen Armee festhielt, wurde im Juni 1993 abgesetzt. Die Mudschaheddin unternahmen in der Region um die zentralbosnische Stadt Zenica Übergriffe auf die verbliebene kroatische und serbische Bevölkerung. Dabei wurden auch Zivilisten getötet.
Ab Dezember 1993 wurde der Aktionsradius der Mudschaheddin-Brigaden wieder eingeschränkt. Die bosnische Armee wurde professionalisiert, iranische Militärberater kamen ins Land, CIA-Agenten organisierten zusammen mit Iranern unter Bruch des UN-Waffenembargos Waffen für die nun von zwei Seiten bedrängten Bosnier. Angesichts dieser Konstellation erscheint es höchst unwahrscheinlich, dass die US-Berater und Geheimdienstleute sich zu diesem Zeitpunkt gegen Mudschaheddin oder gar Iraner wandten. Dafür gibt es auch bisher keinerlei Hinweise in Bosnien selbst.
Nach dem Abkommen von Dayton und dem Einrücken von Nato-Truppen Ende 1995 mussten die meisten Mudschaheddin Bosnien verlassen. Bleiben durften lediglich rund 60 Personen, die Bosnierinnen geheiratet hatten. Auch die Iraner mussten gehen. Nur zu diesem Zeitpunkt – also vor dem 11. September 2001 – könnten US-Dienste Mudschaheddin, die Bosnien nicht verlassen wollten, mit Gewalt aus dem Land gebracht haben. Konkrete Fälle sind jedoch nicht bekannt.
Die Gefahr des Islamismus jedoch ist in Bosnien seitdem gewachsen. Denn nach dem Krieg finanzierte Saudi-Arabien über 100 wahabitische Moscheen im Lande. Die Islamisten gehen geschickt vor: Sie bieten Computerkurse für die verarmte Bevölkerung an, machen Sozialarbeit und kümmern sich um Stipendien in islamischen Ländern. Infolgedessen hat sich mittlerweile eine islamistische Szene in Bosnien herausgebildet. Erst seit dem 11. September sind die westlichen Geheimdienste alarmiert. Und erst seit kurzem wehrt sich der traditionelle, tolerante Islam Bosniens gegen den Einfluss der Islamisten. ERICH RATHFELDER