Taschengeldkunde in der Schule

Schuldnerberaterin Tanja Erdmann bringt jetzt Schülern bei, mit Geld umzugehen. Elf Prozent der 13- bis 24-Jährigen in Deutschland haben Schulden. Das Projekt SOS, Schüler ohne Schulden, macht deshalb fit für die finanzielle Selbstbestimmung

VON KAIJA KUTTER

„Was macht eine Schuldnerberatung?“, fragt Tanja Erdmann die Klasse 8d der Erich-Kästner-Gesamtschule. „Die besuchen Leute, die Schulden haben. Richtig fette Schulden“, sagt ein Schüler. „Richtig“, antwortet die Sozialpädagogin. Die meisten kämen leider erst, wenn es zu spät sei. Kauften Dinge, die sie haben wollen, mit dem Geld der Bank. „Das geht ’ne Weile gut. Das Dumme ist: Irgendwann möchte die Bank ihr Geld zurück.“ Und die Menschen hätten dann weniger Geld im Monat, als sie zahlen müssten. „Damit euch das später nicht passiert“, sagt Erdmann, „komme ich hierher.“

„Schüler ohne Schulden“, kurz SOS, heißt das vom Diakonischen Werk Hamburg initiierte Projekt, das Schüler „Finanzielle Allgemeinbildung“ vermitteln soll. Als Betreiberin von drei Schuldnerberatungsstellen in der Stadt ist die Diakonie mit dem zunehmenden Schuldenproblem direkt konfrontiert. Noch vor zwei Jahren waren es 10,8 Prozent, heute sind 12,7 Prozent der Hamburger überschuldet. Über Jugendliche gibt es keine Daten, deutschlandweit ist aber nach einer aktuellen Studie jeder zehnte junge Mensch zwischen 13 und 24 Jahren verschuldet – mit durchschnittlich 1.550 Euro.

Die Schüler der Farmsener Gesamtschule sind mit ihren 14 Jahren in einem Alter, wo sie den Umgang mit Geld erst lernen. „Wofür gebt ihr gerne Geld aus und wofür nicht so gerne?“, beginnt Erdmann das Gespräch. „Ich kaufe nicht viel“, sagt ein Mädchen. Und wenn, dann eigentlich nur Geschenke für ihre Verwandten. „Dann möchte ich mit dir verwandt sein“, ruft ein Schüler. Alle lachen.

„Ich gebe nicht gern Geld fürs Telefonieren aus“, sagt ein anderes Mädchen. „Meine Mutter sagt, wenn die Telefonrechnung zu hoch ist, muss ich das von meinem Taschengeld bezahlen.“ Am meisten verwende sie für Kleidung. Ein anderes Mädchen bezahlt Sachen für ihr Pferd oder Dekoration für ihr Zimmer, aber nicht gern für „Schulsachen, Hefte und so’n Scheiß“. Das kann die Referentin verstehen.

Kinder mit hohen Handyschulden gibt es in der Klasse offenbar nicht. Im Laufe der Doppelstunde erfahren die Schüler auch, warum: Erstaunt nehmen sie zur Kenntnis, dass Kinder unter sieben Jahren nicht „geschäftsfähig“ sind und ohne Eltern nicht mal ein Eis kaufen dürfen. „Das ist doch unrealistisch“, ruft ein Junge. „Es ist das, was im Gesetz steht“, erklärt Tanja Erdmann. „Das wird nicht immer befolgt.“

Aber wichtig ist die Regelung für sieben- bis 18-Jährige: Die sind nur „eingeschränkt geschäftsfähig“, können mit ihrem Ersparten zwar einen MP3-Player oder ein Prepaid-Handy kaufen, aber keine „längerfristigen Verträge“ für Ratenzahlungen oder Handynutzung unterschreiben. Das ändert sich mit der Volljährigkeit, weshalb auch die 18- bis 24-Jährigen höher verschuldet sind.

Für diese Altersgruppe hat Erdmann, die auch in zehnten Klassen und Berufsschulen Vorträge hält, ein etwas anderes Programm. Dort geht es um „Andreas“, der von zuhause auszieht und seine erste eigene Wohnung finanzieren muss. Die Achtklässler lernen seinen jüngeren Bruder „Tobias“ kennen. Er bekommt – wie es eine Taschengeldrichtlinie empfiehlt – von seinen Eltern 20 Euro im Monat und verdient noch mal 60 Euro dazu, indem er Prospekte austeilt. Auch von den Erich-Kästner-Schülern jobben viele. Manche helfen den selbstständigen Vätern, andere hüten Kinder oder mähen Rasen. Sie dürfen ab dem 13. Geburtstag arbeiten, erfahren sie von Tanja Erdmann, aber eigentlich nur zwei Stunden am Tag, nicht vor der Schule und nicht nach 18 Uhr, und schwer darf es auch nicht sein: Babysitten, Blumengießen oder für den Nachbarn einkaufen zum Beispiel wären erlaubt. Auf den Einwand, dass Babysitten meist abends stattfinde, erwidert Erdmann: „Im Gesetz steht sowas, in der Praxis geht das oft gar nicht.“

Die Schüler sollen nun in Gruppen einen Haushaltsplan für ihren imaginären Altersgenossen aufstellen und angeben, wie viel Geld im Monat er für Musik, Bücher, Hobbys, Kleidung, Essen und Trinken, Süßigkeiten, Geschenke und Handy ausgibt. Sparen oder Schulsachen kaufen muss Tobias nicht. Er bekommt von seinen Eltern aber auch keinen Cent außer der Reihe dazu. Es entspinnt sich eine besorgte Debatte, wie der Junge seine Kleidung kaufen soll. „Mit 20 Euro bekommst du grad mal ein Oberteil von H&M“, wirft ein Mädchen ein. „Stimmt nicht“, entgegnet eine Mitschülerin. „Im Discounter kriegst du dafür zwei Hosen und ein T-Shirt.“ Eine Hose könne schon mal 50 Euro kosten, glättet Erdmann die Wogen. Notwenige Kleidung würden Tobias’ Eltern auch bezahlen, nur eben „Schnickschnack nicht“.

Sehr vernünftig kalkulieren die Schüler Tobias’ Haushaltsplan durch. Fast alle behalten am Monatsende von den 80 Euro noch Geld über. „Was ist, wenn Tobias noch andere Wünsche hat? Einen Urlaub zum Beispiel“, spinnt die Referentin den Faden weiter. Dann müsse er „weniger Süßigkeiten kaufen“, sagt eine Schülerin. Einem Mädchen wird es zu bunt: „Wenn er den Urlaub auch noch selber zahlen muss, hat er echt doofe Eltern.“

Kontakt für Termine: Tanja Erdmann, ☎ 306 20-369