: Eine Stadt plant ihren Aufstieg
Wissenschaft heißt die Hoffnung Bremerhavens: Studien belegen einen zaghaften Aufschwung. Schon sorgt man sich, zu wenige AkademikerInnen in Deutschlands Armenhaus locken zu können
von Jan Zier
Von Bremerhaven hat meist auch klare Vorstellung, wer die Stadt selbst so genau nicht kennt. An Wissenschaft denkt man dabei nicht. Zu unrecht. Doch das Urteil, Vorurteil, steht fest, seit längerem schon. Und die Zahlen, die im Allgemeinen die Runde machen, sprechen ja auch eindeutig gegen Bremerhaven. Keine andere Stadt im Westen hat anteilig mehr Arbeitslose. Im Oktober waren es genau 15.202 BremerhavenerInnen – jeder fünfte im erwerbsfähigen Alter. In keiner anderen Stadt ist die Kinderarmut so groß wie in Bremerhaven. Und nirgends gibt es eine höhere Schuldnerdichte.
Doch es gibt Hoffnung. Nicht nur, weil sich die Fishtown Penguins – jüngst knapp am Aufstieg in die Deutsche Eishockey Liga gescheitert – am Mittwoch erneut als „Favoriten-Schreck“ erwiesen: Im Pokal musste sich Erstligist Frankfurt geschlagen geben, genauso wie vor kurzem der Pokalverteidiger aus Düsseldorf. Sogar die Frankfurter Allgemeine hat kürzlich den Sport zum „Sinnstifter“ Bremerhavens ausgerufen. Aber Zuversicht verbreiten auch andere Zeichen: Der Jahreswirtschaftsbericht etwa vermeldete schon für 2005 überdurchschnittliches Wachstum und das im bundesweiten Vergleich. Selbst die Zahl der EinwohnerInnen steigt mittlerweile, wenn auch nur geringfügig. Ein Plus von 153 BremerhavenerInnen errechneten die Statistiker fürs erste Quartal 2006 – nach Jahren des Rückgangs.
Auch die bremische Arbeitnehmerkammer verbreitet Hoffnung. In Form einer Studie, die Bremerhaven „beachtliche Erfolge“ im Streben nach einem besseren Image und mehr Lebensqualität bescheinigt. Und die Wissenschaft, die man anders als den Fischfang und den Schiffbau nicht mit der Seestadt verbindet, zum Hoffnungsträger ausruft. Michael Stark, Hauptgeschäftsführer der Handelskammer Bremerhaven, sieht die Studie als „Volltreffer“, deren Inhalte er „voll und ganz“ unterstützt.
Schon macht sich die Arbeitnehmerkammer Gedanken, ob man überhaupt genug Hochqualifizierte für Bremerhaven gewinnen kann. Seit 1998 stieg die Zahl der Jobs für AkademikerInnen in Wissenschaft und Forschung um fast 40 Prozent. Deutlich stärker als im benachbarten Bremen, jüngst für seine exzellente Universität ausgezeichnet. Und das obwohl seit dem Anfang der Neunziger jeder fünfte Arbeitsplatz in Bremerhaven verloren ging. Schon jetzt ist das Alfred-Wegener-Institut (AWI) mit 600 Beschäftigten nicht nur das größte marine Forschungszentrum Deutschlands. Sondern auch einer der größten Arbeitgeber in der Stadt.
Oberbürgermeister Jörg Schulz (SPD) sieht seine Stadt „auf dem richtigen Weg“, von der grünen Opposition kommt ein gleichlautendes Statement. Der Strukturwandel, sagt die grüne Arbeitsmarkt- und Wissenschaftspolitikerin Silvia Schön, „ist in Bremerhaven deutlicher sichtbar als in Bremen“.
Rund 1.000 Menschen in Bremerhaven arbeiten derzeit im Umfeld der Wissenschaft. „Was auf den ersten Blick relativ wenig erscheint“, so Marion Salot von der Arbeitnehmerkammer, ist aber für Bremerhaven „überdurchschnittlich viel“. Das sieht Stark genauso. Tatsächlich kann die Arbeitnehmerkammer allein beim AWI mit 200 neuen Stellen durch den Bau des Forschungseisbrechers „Aurora Borealis“ rechnen. Und 2008 siedelt auch noch das Institut für Fischereiökologie, bislang in Hamburg ansässig, nach Fishtown um. Zugegeben: 90 Prozent des AWI-Etats kommen vom Bund. Der aber investiert jährlich rund 100 Millionen Euro. Schon konkurriert das Institut nicht länger mit anderen Regionen. Sondern mit der freien Wirtschaft, die ihren Leuten mehr Geld zahlt.
Das benachbarte Technologie-Transfer-Zentrum (ttz) finanziert sich schon heute zu 80 Prozent aus Drittmitteln, „eine gigantische Quote“, wie Schön findet. Und knapp die Hälfte der Industrieaufträge des ttz kommt aus Bremerhaven selbst. Gut 100 Menschen sind hier beschäftigt, doppelt so viele wie noch vor sieben Jahren. Viele von ihnen kommen aus dem Ausland nach Bremerhaven. „Es ist leichter, einen Naturwissenschaftler aus Barcelona zu holen, als aus Deutschland“, sagt ttz-Geschäftsführer Werner Mlodzianowski. Die wenigen, die es hierzulande gibt, gehen lieber dorthin, wo es „schöner“ ist. Und bis nach Katalanien hat sich das schlechte Image wohl noch nicht herumgesprochen.