piwik no script img

Archiv-Artikel

Freispruch zweiter Klasse

betr.: „Verfahren gegen Ackermann & Co. wurde zu Recht eingestellt. Schauprozess vermieden“, Kommentar von Christian Rath, taz vom 30. 11. 06

Wieso „Schauprozess vermieden“? Was an diesem Prozess hatte bisher Elemente eines Schauprozesses? Angesichts der Geschichte von Schauprozessen ist die Verwendung dieser Vokabel mehr als deplatziert. Was führt den Verfasser zu der spekulativen Annahme, es wäre rechtsstaatswidrig, wenn dieses Verfahren „nur deshalb fortgeführt werden könnte, weil die Angeklagten prominent sind und das Publikum (wer ist das?) überbezahlte Manager derzeit am liebsten vor Gericht sieht“. Gibt die bisherige Behandlung des Verfahrens durch die Staatsanwaltschaft und die Gerichte Anlass zu solchen Spekulationen? Eindeutig nicht!

Der Journalist beantwortet die von ihm aufgeworfene Frage, ob hier der Spruch gilt: „Die Kleinen hängt man, die Großen lässt man laufen“ mit einem eindeutigen Nein. Worauf stützt der Autor seine These?

Die, die den Justizalltag kennen, beantworten die aufgeworfene Frage so: „Die Kleinen hängt man, die Großen lässt man laufen.“ Zum Beleg nur ein Beispiel aus der Praxis der Justizbehörden in NRW (in Bayern noch schlimmer etc. pp.):

Bafög-Betrug. Vorgeschichte: Bei einem EDV-Abgleich zwischen Bafög-Behörden und Bundesamt für Finanzen fiel auf, dass bei etlichen Bafög-Studenten Zinseinkünfte gespeichert waren, aus denen sich auf Vermögen schließen ließ, das den Freibetrag überschritt. Die Studenten haben bei Ausfüllen des Bafög-Antrages anzugeben, ob sie mehr als 5.200 Euro (anrechnungsfrei) an Vermögen haben. Haben sie das nicht oder nicht vollständig getan, machen sie sich eines Betruges verdächtig (die Justizbehörden sehen in diesem Verhalten keinen Bußgeldtatbestand). Würden dadurch zum Beispiel 1.000 Euro zu viel an Bafög, das komplett als Darlehen gegeben wird, gewährt, als dem Studenten/der Studentin bei korrekter Angabe seines/ihres Kapitalvermögens zugestanden hätte, so wird er/sie wegen Betruges verurteilt.

Es besteht nicht der Hauch einer Chance auf eine Einstellung des Verfahrens. Auch nicht gegen Geldauflage. Hierauf haben sich Staatsanwaltschaften und Gericht in NRW wegen der Schwere der Tat verständigt. Man kann leicht auf 90 Tagessätze kommen. Dann gilt man bekanntlich schon als vorbestraft.

Die Einstellung, wie sie in Düsseldorf jetzt erfolgt ist, kennt solche Konsequenzen nicht. Im Fachjargon spricht man von einem Freispruch zweiter Klasse.

Noch Fragen? Oder noch mehr Beispiele?

ROLAND KARPA-SCHMIDT, Rechtsanwalt, Essen