„Die Nervosität ist größer als je zuvor“

AUSSTELLUNG Lee Cheuk-yan, Gründer des Tiananmen-Museums in Hongkong, zur Angst der KP vor der Wahrheit über den 4. Juni

■ 57, ist seit Langem in der demokratischen Bewegung und den Gewerkschaften Hongkongs aktiv. Er ist Vorsitzender der Hong Kong Alliance in Support of Patriotic Democratic Movements in China, die nach dem 4. Juni 1989 unter anderem half, verfolgte Studenten aus dem Land zu schmuggeln. Lee sitzt auch als Abgeordneter im Legislativrat der ehemaligen britischen Kronkolonie. Die gehört zwar seit 1997 wieder zur Volksrepublik, behielt aber eine begrenzte Eigenständigkeit und größere politische Freiheiten als der Rest Chinas.

taz: Herr Lee, was müsste sich in China ändern, damit dort über den 4. Juni diskutiert werden kann?

Lee Cheuk-yan: Die jetzige Herrschaft von Partei- und Staatschef Xi Jinping ist autoritärer als die seiner Vorgänger der letzten 25 Jahre. Das ist jetzt die 3. Führungsgeneration seit 1989, doch wir sehen keine Verbesserung der Menschenrechtslage. Die Nervosität der Führung zum Jahrestag ist größer als je zuvor. Alle „Mütter des Tiananmen“ stehen unter Aufsicht. Ihre Ikone Ding Zilin darf sich nicht in Peking aufhalten. Solange die Menschenrechte unterdrückt werden, sehe ich nicht, dass die Wahrheit ans Licht kommt. Dafür müsste die Partei ihren Fehler der Bewertung des 4. Juni eingestehen. Das hieße, sich in Richtung Demokratie zu bewegen und dass die Forderungen der Studenten damals richtig waren.

Wie kam es dazu, das Museum über den 4. Juni aufzubauen?

Wir fingen 2011 mit einem temporären Museum an und machten sehr ermutigende Erfahrungen: Viele Hongkonger, Festlandschinesen und Schulklassen haben es besucht. So entstand die Idee eines dauerhaften Museums, und wir begannen Geld zu sammeln.

Wann konnten Sie eröffnen?

In diesem Frühjahr vor dem 25. Jahrestag. Das Museum hat nur 75 Quadratmeter und kostete 900.000 Euro. Wir können nur wenige Gegenstände zeigen. Wir versuchen eine Zeitachse darzustellen – vom 15. April bis nach dem 4. Juni 1989. Dann zeigen wir die Unterstützung der Hongkonger für die Demokratiebewegung, sodass junge Leute lernen können, was damals passierte. Wir zeigen Videoclips der Mütter vom Tiananmen, in denen manche von ihnen erstmals die Geschichte ihrer getöteten Männer und Kinder erzählen. Dann haben wir eine Sektion, die wir „4. Juni damals und heute“ nennen. Wir dokumentieren, wie Hongkonger Politiker damals das Massaker verurteilten und heute Chinas Kommunistische Partei loben, wie Hongkongs Regierungschef C.Y. Leung. Heute fordert er den Friedensnobelpreis für Deng Xiaoping.

Haben Sie viele original Gegenstände aus der Zeit im Museum?

Wir wollen auch Gegenstände zeigen, aber dafür brauchen wir noch ein gutes Sicherheitskonzept. Wir zeigen vor allem Fotos. Die Mutter eines getöteten Schülers gab uns seinen Helm, den eine Kugel durchschlagen hatte. Vor drei Wochen bekamen wir eine Kugel, die sich jemand erst zum 20. Jahrestag rausoperieren lassen konnte.

Warum ist der 4. Juni 1989 so wichtig für Hongkong?

Wir haben in Hongkong einen rechtlichen Schutz für unsere Autonomie, doch letztlich unterstehen wir dem gleichen Regime. Das versucht seit Jahren mit einem Antisubversionsgesetz unsere Freiheiten einzuschränken. Bisher konnten wir das erfolgreich abwehren, einmal protestierten sogar eine halbe Million Menschen. Peking kontrolliert die politischen Reformen, die wir hier in Hongkong diskutieren. Chinas Regierung hat uns Reformen versprochen, ist aber nicht aufrichtig. Warum sollten wir von einem Regime, dass Demokratie in China unterdrückt, erwarten, dass es sie in Hongkong erlaubt? Wenn wir in Hongkong Demokratie haben wollen, müssen wir dafür sorgen, dass auch China sich dafür öffnet. Die damalige Bewegung in China wollte das gleich wie wir. Wollte China wirklich Demokratie haben, wäre Hongkong eine Chance, damit zu experimentieren. So ist Hongkong der Lackmustest, ob Chinas Führung wirklich Demokratie will.

Gibt es Widerstände in Hongkong gegen das Museum?

Ja. Wir sind wohl Hongkongs einzige Eigentümer eines Gewerberaums, die verklagt werden, weil anderen ihr Geschäftsmodell nicht passt. Der Fall ist bei Gericht anhängig. Uns wird vorgeworfen, gegen den Hauskodex zu verstoßen, der nur Büroräume vorsieht. Dabei haben viele Büros in Hongkong einen Showroom. Die verkaufen kommerzielle Produkte, wir politische Botschaften. Showrooms verbieten wäre für eine Businessstadt wie Hongkong eine Ironie. Doch hätten wir den Museumsraum nur gemietet, wären wir längst gekündigt worden.

INTERVIEW: SVEN HANSEN

(Weitere Fotos und Langversion des Interviews auf www.taz.de)