: Der alltägliche Frust im Klassenzimmer
Kaum ein Beruf ist so anstrengend wie das Unterrichten. Zwei von drei Lehrern sind resigniert oder überlastet, ermittelte eine Studie. Ein Grund: Oft werden Menschen Lehrer, die gar nicht dafür geeignet sind. Helfen könnte ein Test – vor dem Studium
VON WOLF SCHMIDT
Nach ihrem Referendariat gab Sarah R. auf. „Ich bin jeden Morgen aufgewacht und hatte keine Lust, in die Schule zu gehen“, sagt die 30-Jährige, die ihren vollen Namen lieber verschweigt. Sie hätte Grundschullehrerin werden können, wollte aber nicht mehr. Von ihren Kollegen fühlte sie sich alleingelassen. „Ich bin ausgestiegen, bevor mich der Beruf ausbrennt.“
Dass diese Gefahr real ist, zeigt eine Langzeitstudie der Universität Potsdam, die am Dienstag vorgestellt wird. „Lehrerinnen und Lehrer sind keine beneidenswerten Halbtagsjobber. Sie üben einen der anstrengendsten Berufe aus“, so das Fazit des Psychologen Uwe Schaarschmidt. 18.500 Lehrer, Studierende und Referendare haben sich in den letzten sechs Jahren an der Studie beteiligt, die der Deutsche Beamtenbund in Auftrag gegeben hatte.
In der ersten Etappe hatten die Forscher Erschreckendes festgestellt: Bei fast zwei Dritteln der Lehrer ist die psychische Gesundheit gefährdet. 30 Prozent gehören dem „Risikotyp A“ an. Sie überfordern sich selbst und verausgaben sich übermäßig. Weitere 30 Prozent gehören dem „Risikotyp B“ an. Sie sind resigniert und erschöpft, befinden sich auf dem Weg zum Burn-out. Ein Vergleich mit acht anderen Berufen ergab: Kein Beruf ist für die Psyche so ungesund wie der des Lehrers, egal an welchem Schultyp er unterrichtet.
In der zweiten Etappe der Studie hat das Team aus 12 Forschern nun Maßnahmen erarbeitet, mit denen die Belastung der Lehrer verringert werden könnte. Eine zentrale Rolle spielen dabei Vorschläge, wie das Klima im Kollegium verbessert werden könnte. Außerdem haben die Forscher Anti-Stress-Trainings erarbeitet. Dort sollen Lehrer lernen, wie sie besser mit anstrengenden Schülern und Eltern umgehen können. Das Problem dabei: „Bereits resignierte Lehrer werden mit solchen Programmen oft nicht erreicht“, sagt Schaarschmidt. „Die ziehen sich in die Einsamkeit zurück.“
Deswegen wollen die Forscher viel früher ansetzen: noch vor Beginn des Studiums. Denn ein weiteres Ergebnis der Studie ist, dass viele angehende Lehrer die falschen Voraussetzungen mitbringen. Sie seien unmotiviert, wenig widerstandsfähig, mit geringem Selbstvertrauen ausgestattet und könnten nicht auf Menschen zugehen, so die Studie. „30 bis 40 Prozent der Lehramtsstudenten sind für den Beruf ungeeignet“, sagte Uwe Schaarschmidt der taz.
Die Forscher haben deshalb einen Eignungstest entwickelt. Er soll Abiturienten helfen, herauszufinden, ob sie das Zeug zum Lehrer haben – oder es lieber bleiben lassen sollten. Habe ich wirklich Freude am Umgang mit Kindern? Kann ich vor Gruppen sprechen? Bin ich belastbar? Fragen dieser Art sollten sich Interessierte schon vor der Einschreibung stellen. Noch besser fände Psychologe Schaarschmidt ein verpflichtendes Orientierungspraktikum vor dem Studium. „Das ist besser, als erst nach Jahren festzustellen, dass einem der Beruf nicht liegt.“
Einen Eignungstest oder ein Orientierungspraktikum hätte auch Sarah R. gut gefunden. „Das Studium hat mich kaum auf die Schule vorbereitet“, sagt sie. „Ich habe erst sehr spät gemerkt, dass der Beruf nichts für mich ist.“
Sarah R. ist derzeit arbeitslos. Sie will sich jetzt nach einem Beruf umsehen, der besser zu ihr passt.