Horror in der Raucherecke

Auf belgischen Zigarettenschachteln wird mit drastischen Abbildungen von Raucherleiden vor Raucherleiden gewarnt, die jeder Raucher kennt. Warum nicht einfach gleich das Rauchen verbieten?

von ARNO FRANK

Im Anfang war das Wort. Das Wort war manchmal blumig und vielversprechend („Rauch enthält Benzol, Nitrosamine, Formaldehyd und Blausäure“), meistens aber düster und eindeutig („Rauchen kann zu einem langsamen und schmerzhaften Tod führen“). Doch obschon das Wort mit jeder verkauften Zigarettenschachtel aufs Neue unters rauchende Volk gebracht wird, zeitigte die Warnung im schwarz umrandeten Geviert und mit dem Charme einer Todesanzeige bisher kaum die erhoffte Wirkung. Im Gegenteil: Die unverantwortlichen Trottel rauchen einfach weiter!

Und weil die verantwortlichen Trottel über so viel Fahrlässigkeit ja nicht ewig weiter die Köpfe schütteln können, haben sie diese Köpfe kurzerhand zusammengesteckt und ausgeheckt, was nun in Belgien zur Realität geworden ist: den abschreckend bebilderten Warnhinweis. Du sollst dir nämlich jetzt ein Bildnis machen. Ein Bildnis davon, wie Benzol, Nitrosamine, Formaldehyd und Blausäure so wirken; und wie hässlich er sich ankündigt, der langsame und schmerzhafte Tod.

Zwar ist diese Taktik der brachialen Aufklärung noch zu jung, als dass sie irgendeine messbare Wirkung auf Raucher haben könnte. Aber Großbritannien, Irland und Lettland haben bereits angekündigt, dem belgischen Vorbild zu folgen und Farbfotos von wuchernden Kehlkopftumoren, verengten Herzkranzgefäßen oder fröhlich vor sich hin metastierenden Mundhöhlengeschwüren in Umlauf zu bringen. Die aufgeklärten Zivilgesellschaften von Brasilien, Thailand und Singapur setzen schon lange auf den Schockeffekt; die Bundesregierung will einstweilen abwarten.

Ausgedacht hat sich das Horrorquartett der frühere EU-Gesundheitskommissar David Byrne, ein Mann, der fehlgeleitete Fluppenfreunde „aus ihrer rauchseligen Zufriedenheit“ zerren wollte und deshalb vor zwei Jahren schon seine gruseligen Sammelbildchen an alle europäischen Regierungen verschickt hatte. Bravo, braver Byrne!

Aber hätte er sich als EU-Gesundheitskommissar nicht gleich um ein Verbot von Zigaretten kümmern können? Nein? Wäre nicht wenigstens eine drastische Verteuerung drin gewesen? Offenbar nicht. Erreicht hat der Gesundheitskommissar allenfalls eine allmähliche Rückkehr der barocken Vergänglichkeitssymbolik in die Ikonografie der Moderne. Was Kunsthistoriker freut, Raucher aber noch lange nicht schrecken muss: Interessant, so ’n Geschwür! Jaja, Freunde, das Leben ist vergänglich, und lebend kommt da sowieso keiner raus, also was soll’s?

Nein, ganz so einfach werden es sich die Betroffenen wohl nicht machen können. Es sei denn, sie bleiben unter sich. Denn die plakative Negativwerbung entfaltet ihre Wirkung gewissermaßen über Bande, indem sie den sozialen Druck auf den Raucher genau dort erhöht, wo er noch geduldet wird. In der Kneipe beispielsweise.

Den Raucher erkannten wir bisher an seiner Zigarettenschachtel auf dem Tisch. Künftig weist ihn diese Schachtel ungefragt als Kehlkopfkrebskandidaten aus.

Aber es ist ja nicht die Schachtel, die da warnt. Es warnt mich mit dem Staat eine Instanz vor meiner Dummheit, die an meiner Dummheit sehr gut und auch gerne verdient – buntere Bildchen machen diese Doppelmoral auch nicht besser.

Im Gegenteil erinnert hier der Staat selbst an seine eigene Nikotinsucht: Er weiß wohl, was besser wäre für die Gesundheit seiner Bürger; aber, verdammt, er kann sich das Verdienen am Rauchen einfach nicht abgewöhnen!

Schade eigentlich, dass wir uns über die Schädlichkeit des Saufens nicht ganz so einig sind wie über die des Rauchens. Wie verführerisch so eine Whiskey- oder Bierflasche wohl noch wirken würde, wäre ihr die detaillierte Darstellung einer Leberzirrhose im Endstadion beigegeben? Wir wollen es gar nicht wissen. Und niemanden auf dumme Ideen bringen.

Demnächst mehr zum Thema in der neuen taz-zwei-Raucherecke