Tödlicher Überfall im Gaza-Streifen

Unbekannte Attentäter erschießen drei Kinder eines hochrangigen Verbündeten von Präsident Mahmud Abbas und einen Passanten. Hamas und Fatah verurteilen die Gewalttat. Anschlag könnte Auftakt zu einer neuen Gewaltwelle sein

AUS JERUSALEM SUSANNE KNAUL

Die brüchige inner-palästinensische Waffenruhe ist vorbei. Nur einen Tag nachdem Premierminister Ismail Hanijeh (Hamas) vor neuen Spannungen gewarnt hatte, starben drei Kinder und ein 25-jähriger Passant im Kugelhagel einer Gruppe vermummter Palästinenser. Von rund 70 Geschossen berichtete die Polizei in der Stadt Gaza, wo sich der Überfall auf das fahrende Auto der Kinder Montag früh ereignete.

Der Anschlag galt offenbar dem Vater der drei Jungen. Baha Balusche ist hoher Offizier in dem von der Fatah kommandierten palästinensischen Nachrichtendienst. Zum Zeitpunkt des Anschlags war er zu Hause. Erst am Vortag war der palästinensische Innenminister Saed Siayam einem Mordanschlag nur knapp entkommen.

Hintergrund der neuen Eskalation ist die Möglichkeit vorgezogener Neuwahlen, die ein von der PLO eingesetztes Gremium als Ausweg aus der inner-palästinensischen Krise empfohlen hat. Palästinenserpräsident Mahmud Abbas will am kommenden Samstag in einer Rede an das Volk seine Entscheidung bekanntgeben. Die Hamas-Führung lehnt Parlamentswahlen mit dem Argument ab, die Fatah unternehme damit einen Staatsstreich gegen die derzeitige Regierung und gegen die Demokratie.

Der Mordanschlag ereignete sich kurz vor acht Uhr morgens in der Palästina-Straße, die um diese Zeit von hunderten Schulkindern bevölkert wird. Zwei weitere Kinder trugen in dem Schussfeuer Verletzungen davon, die anderen flohen in Panik und versteckten sich vor den Angreifern. Die Leichen der sechs, sieben und acht Jahre alten Söhne Balusches wurden in weißen Leinentüchern aus dem Fahrzeug evakuiert.

Balusche spielte Mitte der 90er-Jahre eine zentrale Rolle bei der Verfolgung palästinensischer Extremisten im Gaza-Streifen, zu der sich die PLO im Rahmen der Osloer Friedensvereinbarungen verpflichtet hatte. Über Jahre saß damals die militärische und politische Führungsriege der Hamas hinter Gittern. Durch sein Zutun bei den Verhören der Inhaftierten schuf sich Balusche zahlreiche Feinde in der Bewegung, die seit Anfang des Jahres in den Palästinensergebieten regiert. Erst vor drei Monaten war Balusche einem Mordanschlag entgangen.

Der seit Monaten andauernde inner-palästinensische Machtkampf forderte bereits zahlreiche Menschenleben. Die Führungen beider Seiten versuchten dem Blutvergießen ein Ende zu machen, indem sie Verhandlungen über eine Koalition der Nationalen Einheit aufnahmen. Diese Verhandlungen scheiterten letztendlich an der Weigerung der Hamas, die internationalen Bedingungen, wie ein Gewaltverzicht und die Anerkennung Israels, zu akzeptieren. Mit dem jüngsten Einmarsch israelischer Truppen in den Gaza-Streifen Anfang November waren die internen Gefechte vorrübergehend eingedämmt worden. Der gestrige Überfall leitet nun möglicherweise eine neue Gewaltwelle ein.

Fausi Barhum, Sprecher der Hamas, beeilte sich den Überfall zu verurteilen und sprach von einem „schrecklichen Verbrechen an unschuldigen Kindern“. Auch Palästinenserpräsident Abbas zeigte sich schockiert angesichts der „hässlichen und unmenschlichen“ Tat.

Die Führungen der beiden zerstrittenen Fraktionen werden nun versuchen, die Wogen zu glätten, bevor die Situation weiter außer Kontrolle gerät und möglicherweise in einen Bürgerkrieg umschlägt. Schon gestern früh steckten Fatah-Aktivisten alte Autoreifen in Brand und kündigten einen Vergeltungsschlag an.