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Archiv-Artikel

„Man kann ein Kind auch anhübschen“

Der Kinder-TÜV, wie ihn sich die Landespolitiker vorstellen, stößt bei denjenigen, die ihn durchführen sollen, auf Kritik. Der Bremer Kinderarzt Stefan Trapp berichtet vom alltäglichen Elend – in der Zusammenarbeit mit dem Jugendamt

taz: Herr Trapp, warum sträuben sich die Kinderärzte gegen die Pflichtuntersuchungen von Kindern?

Stefan Trapp: Moment, wir sind nicht grundsätzlich dagegen, sondern warnen vor politischen Schnellschüssen. Und wir wollen uns nicht einspannen lassen als diejenigen, die dem Amt melden müssen, wenn jemand nicht zu den Untersuchungen erscheint.

Warum nicht?

Weil wir bisher ein sehr niedrigschwelliges Angebot machen können, wo man erst einmal hingehen und sich anvertrauen kann und nicht befürchten muss, dass gleich eine Meldung ans Amt gemacht wird. Gerade die Familien, die Schwierigkeiten bei der Versorgung ihrer Kinder haben, gehen ja mit ihnen zum Arzt. Meistens sagen die dann zwar nicht direkt, was los ist, sondern haben irgendwelche vorgeschobenen Gründe, warum sie kommen. Die stehen unter Druck und haben Angst, dass ihnen die Kinder weggenommen werden. Es wäre fatal, wenn die sich nicht mehr zu uns trauen würden, weil wir als verlängerter Arm des Amtes wahr genommen würden.

Aber müsste man das nicht riskieren, wenn man die Möglichkeit hat, das Leben einiger Kinder zu retten?

Es ist nicht gesagt, dass dieses Ziel erreicht wird. Man kann auch ein Kind vor einer Untersuchung anhübschen oder Wege finden, sich ihr zu entziehen. Aber wie gesagt, wenn andere, etwa die Kassen oder Gesundheitsämter die Kontrolle übernehmen, haben wir als Berufsverband keine Schwierigkeiten damit, sie verbindlicher zu machen. Dennoch frage ich mich, ob das Geld, was man für solche Programme ausgibt, nicht an anderer Stelle besser aufgehoben wäre.

Warum?

Weil es erstens darum gehen muss, überhaupt zu verhindern, dass Kinder misshandelt und vernachlässigt werden. Dafür muss man die Kinder, die besonders gefährdet sind, gleich nach der Geburt identifizieren und ihren Familien helfen. Zweitens muss sichergestellt sein, dass auch etwas passiert, wenn bei einer ärztlichen Untersuchung heraus kommt, dass ein Kind Hilfe braucht. Wir erleben das jetzt schon immer wieder, dass wir uns ans Jugendamt wenden und das unternimmt einfach nichts.

Also riskieren Sie doch das Vertrauensverhältnis zwischen Arzt und Eltern?

Ja, natürlich. Wenn wir einen begründeten Verdacht auf Missbrauch oder Misshandlung haben, dann zählt einzig das Kindeswohl, da unternehmen wir auch Schritte gegen den Willen der Eltern. Zur Not weisen wir das Kind in ein Krankenhaus ein.

Wie oft kommt so etwas vor?

Solche extremen Fälle, wo ein Kind ganz eindeutig schwer körperlich misshandelt wird, etwa einmal im Jahr. Ein alltägliches Problem sind aber die vielen Kinder, die latent verwahrlosen, die vor der Glotze abgestellt werden, mit denen sich niemand beschäftigt, die ab und an etwas zu essen reingeschoben bekommen.

Sind Kinderärzte eigentlich dafür ausgebildet, um Misshandlungen zu erkennen?

Es ist richtig, dass die Pädiatrie im Studium einen sehr kleinen Teil einnimmt, aber Sie können davon ausgehen, dass wir uns laufend fortbilden. Sobald Sie aber ein Kind vor sich haben, bei dem Sie keine Anzeichen haben wie Knochenbrüche oder blaue Flecken und nur ahnen, dass etwas faul ist, wird es schwierig. Wenn Sie die Eltern dann direkt fragen „Sagen Sie, verprügeln Sie eigentlich Ihren Sohn?“ oder „Missbrauchen Sie Ihre Tochter?“ schlagen Sie Türen zu und sehen die Kinder nie wieder.

Was machen Sie in solchen Fällen?

Wir vereinbaren mit den Eltern einen regelmäßigen Termin, zur Not unter dem Vorwand, dass wir beispielsweise die Gewichtszunahme kontrollieren müssen. Wenn die dann nicht kommen, schalten wir das Jugendamt ein.

INTERVIEW: EIKEN BRUHN