piwik no script img

Archiv-Artikel

off-kino Filme aus dem Archiv – frisch gesichtet

„After Life“ (OmU) 20. 12. im Arsenal 1

Irgendwo im Weddinger Hinterhof, zwischen Kneipe und Lumpenstampe, spielt Phil Jutzis „Mutter Krausens Fahrt ins Glück“ (1929), ein realistisches, vom damals gerade verstorbenen Berliner-Milieu-Zeichner Heinrich Zille inspiriertes Sozialdrama um eine alte Zeitungsfrau, deren arbeitsloser Sohn Paul das bei den Abonnenten kassierte Geld mit seinen Kumpanen in der Kneipe versäuft. Der Film beginnt wie eine Dokumentation mit Bildern von Weddinger Straßenzügen, von alten Leuten, Bettlern und Betrunkenen, während handschriftliche Zwischentitel mit Zille-Zitaten das Elend des Wohnviertels schildern. Dokumentarisches und Fiktion vermischen sich nun, wobei es Jutzi keineswegs nur um das Ausmalen deprimierender Lebensumstände geht: Gezeigt werden auch die Vergnügungen der „kleinen“ Leute wie der Rummelplatz oder das Freibad; die Spielhandlung scheint sich dabei fast wie zufällig zu entwickeln. Entsprechend der kommunistischen Ausrichtung der Produktionsgesellschaft Prometheus gestaltet sich der Schluss des Films, der die „falschen“ Verhaltensweisen von Paul und Mutter Krause mit dem „richtigen“ Weg kontrastiert, den die Tochter Erna einschlägt. Denn als Paul in einen Einbruch und Totschlag verwickelt wird, sieht Mutter Krause keinen Ausweg mehr und öffnet den Gashahn. Erna hingegen hat zuvor die Gemeinschaft der werktätigen Klasse erfahren: Auf einer Arbeiterdemonstration fasst sie im Wortsinn in ihrem Leben Tritt und wird von nun an im Gleichschritt für bessere Lebensbedingungen mitmarschieren.

„The Sweetest Sound“ (OmU) 14. 12. im Zeughauskino

Der jüdische New Yorker Filmemacher Alan Berliner dreht gern Filme über sich und seine – meist leicht genervte – Familie. Ausgehend vom Privaten räsonieren seine Essays und Collagen aus Homemovies und Filmschnipseln aller Art immer wieder über den Umgang mit der Erinnerung. In „The Sweetest Sound“ (2001) wird der eigene Name zum Ausgangspunkt seiner Forschung, denn Alan Berliner mag nicht mehr mit anderen Alan Berliners verwechselt werden. Da gibt es gleichnamige Fotografen, Ärzte, Rechtsanwälte und natürlich den französischen Filmregisseur Alain Berliner. Also forscht er im Internet („Egosurfing“), schreibt Hunderte von Briefen und lädt schließlich zwölf Namensverwandte zum Essen ein, um Verbindendes und Trennendes zu dokumentieren und um ein für alle Mal zu klären: Wer ist der wahre Alan Berliner? Überdies forscht er nach den Ursprüngen seines Namens und ist stolz auf Kennedys berühmten Satz: „Ich bin ein Berliner.“ Bis ihm klar wird, dass Berliner im Deutschen ein Schmalzgebäck bezeichnet …

Um das Erinnern geht es auch in Hirokazu Kore-edas Spielfilm „After Life“, einer in nahezu dokumentarischem Stil gefilmten Fantasie um gerade verstorbene Personen. Sie sollen auf dem Weg zum Paradies einigen Sachbearbeitern ihre schönste Erinnerung benennen. Diese wird dann verfilmt; mit ihr gehen die Toten in die Ewigkeit ein. Doch das muss wohl überlegt sein, denn wer will schon mit der falschen Erinnerung ins Paradies eingehen und dann auch noch mit nur einer einzigen? LARS PENNING

„Mutter Krausens Fahrt ins Glück“ 15. 12. im Arsenal 2