: „Horst Köhler betreibt zu viel Erbsenzählerei“
Die Föderalismusreform ist eine Hauptursache für fehlerhafte Gesetzesvorhaben der Bundesregierung. Dennoch sollte sich der Bundespräsident nicht so stark einmischen, sagt der Düsseldorfer Politologe Ulrich von Alemann
taz: Herr von Alemann, agiert Horst Köhler wie einst Reichspräsident Hindenburg, der Anfang der 30er-Jahre das Parlament allmählich entmachtete?
Ulrich von Alemann: Ich habe von diesem Vorwurf gelesen. Er ist abwegig. Es ist richtig, dass sich der Bundespräsident stärker in die Gesetzgebung einmischt als alle seine Vorgänger, aber dadurch wird die Bundesrepublik noch keine Präsidialrepublik wie Weimar.
Er mischt sich nicht nur ein, er kippt auch Gesetze. Das zur privaten Flugsicherung ebenso wie das Verbraucherinformationsgesetz. Ist das zulässig?
Das ist keine Frage der formellen Kompetenz, sondern eine des politischen Stils. Derzeit beschäftigt sich Horst Köhler zu viel mit Erbsenzählerei und das ist nicht seine Aufgabe.
Wie bitte?
Er beschäftigt sich mit Tagesproblemen, mit einzelnen Gesetzesdetails. Bundespräsidenten haben aber nicht die Aufgabe, sich um das Klein-klein im deutschen Gesetzgebungshickhack zu kümmern. Er soll sich mit Fragen von größerer, moralischer Tragweite befassen und dazu Stellung nehmen.
Was wäre eine solche Frage?
Beispielsweise wie es gelingen kann, soziale Gerechtigkeit mit einer Modernisierung der Gesellschaft zu verbinden.
Sie plädieren also für einen Grüßaugust?
Unsinn, ich will genau das Gegenteil. Horst Köhler soll keine bundesdeutsche Queen werden, die sich strikt aus politischen Dingen heraushalten muss. Aber für den Bundespräsidenten gilt politisch, was juristisch in den USA für den Obersten Verfassungsgerichtshof gilt: Zurückhaltung in politischen Detailfragen.
Frühere Bundespräsidenten wie Johannes Rau oder Richard von Weizsäcker haben schönere Reden gehalten, aber Köhler hat politisch konkret etwas bewegt. Wenn Sie einen politischen Präsidenten wollen, muss Ihnen das sympathisch sein.
Diese Wahrnehmung von Rau und Weizsäcker ist falsch. Rau hat beispielsweise das Verhältnis von Deutschen und Migranten thematisiert und mit dafür gesorgt, dass dieses Thema im öffentlichen Bewusstsein angekommen ist. Und Weizsäcker hat die Deutschen klar als Verursacher des Zweiten Weltkrieges ausgemacht, als die sich noch gern zu Opfern stilisiert hätten.
Heute gibt es aber eine verkorkste Föderalismusreform, ständig muss die Regierung deshalb Gesetze nachbessern oder zurückziehen, wie eben bei der Verbraucherinformation oder beim Nichtraucherschutz.
Diese Reform ist ein Desaster, das ist klar. Die Verteilung der Kompetenzen zwischen Bund und Ländern ist derart undurchsichtig, dass sie offenbar eine gute Gesetzesarbeit erschwert. Egal ob Schwarz-Rot oder Rot-Grün regieren. Hinzu kommen noch Fragen der finanziellen Verteilung zwischen Bund, Ländern und Kommunen. Das ist teilweise noch nicht beschlossen und die Perspektiven sind hier so unklar, dass gravierende Fehlerquellen für künftige Entscheidungen zu vermuten sind.
Da ist es doch geradezu notwendig, dass sich die Rolle des Bundespräsidenten ändert. Muss er nicht korrigierend auf die Fehlerwelle aus Berlin reagieren?
Nein, Köhler ist nicht der Libero für das rumpelige Spiel der Regierung. Fehler in der Gesetzgebung korrigiert ein anderes Verfassungsorgan, nämlich das Bundesverfassungsgericht in Karlsruhe. Dort ist auch mehr juristischer Sachverstand versammelt als im Präsidialamt.
Sollen Juristen die Arbeit der Politiker machen?
Nein. Aber auch unter diesem Vorzeichen: Das konkrete politische Handeln ist nicht Köhlers Aufgabe. Wenn man hier etwas verbessern will, sollte man beim Bundeskanzleramt anfangen. Dort ist die Ressortkoordination zu Haus, um die einzelnen Ministerien abzustimmen. Es kann doch nicht sein, dass die Regierung Gesetzesvorhaben voranbringen will und einzelne Ministerien hinterher daran zweifeln, ob diese Gesetze mit den in der Föderalismusreform ausgehandelten Kompetenzen der Länder vereinbar sind.
Dafür sind doch aber Animositäten zwischen SPD und CDU verantwortlich, oder?
Dabei geht es nicht um Parteistreitigkeiten. Am Nichtraucherschutz beispielsweise haben sowohl das rot geführte Justizministerium als auch das schwarz geführte Innenministerium gezweifelt.
Wie lässt sich das ändern?
Jedenfalls nicht mit einer stärkeren Rolle für den Bundespräsidenten, so hoffnungslos ist die Lage dann doch nicht. Stattdessen sollten Bund und Länder dann, wenn demnächst die finanziellen Fragen der Förderalismusreform verhandelt werden, auch bei der Verteilung von Kompetenzen nachbessern. Sonst bleibt diese Reform eine Problemquelle erster Güte.
INTERVIEW: DANIEL SCHULZ