: Industrie kürt „Pfeifenraucher des Jahres“
Und küren lässt sich Joachim Poß, der stellvertretende Vorsitzende der SPD-Bundestagsfraktion
BERLIN taz ■ Gestern kurz vor neun traf in Deutschlands Zeitungs- und Rundfunkredaktionen eine erstaunliche Pressemitteilung ein: Ausführlich gewürdigt wurde darin der stellvertretende Vorsitzende der SPD-Bundestagsfraktion: Individualität, Offenheit, Pragmatismus, Bescheidenheit – „Attribute, die Joachim Poß in herausragender Weise verkörpert“. Absender: der Verband der deutschen Rauchtabakindustrie.
Der Finanzexperte lässt sich in einer Zeit als „Pfeifenraucher des Jahres“ auszeichnen, in der der Bundesregierung vorgeworfen wird, sich von der Tabakindustrie beeinflussen zu lassen. Der Verband der Rauchtabakindustrie ist der kleine Bruder des Verbands der Cigarettenindustrie (VDC), dem es im Herbst gelang, seine Position zu Rauchverboten zur Verhandlungsgrundlage von Union und SPD zu machen.
Der VDC veranstaltet regelmäßig Clubabende und Talkrunden, um sich der Zuneigung von Politikern und Journalisten zu versichern. Eine der wichtigsten Botschaften ist es, dass der Tabak und seine Lobbyisten keinesfalls am Rande, sondern in der Mitte der Gesellschaft stehen. Ebenso der Pfeifentabakverband. Er listet Günter Grass, Herbert Wehner und Helmut Kohl auf – alle waren schon „Pfeifenraucher des Jahres“. Auch der SPD-Fraktionschef Peter Struck. Für den gestrigen Abend hat Struck zugesagt, die Laudatio auf Poß zu halten, wie seine Pressestelle bestätigte.
Die Nähe zu Tabaklobbyisten rückt den Eindruck zurecht, dass in der SPD nur Rauchverbieter wie die Staatssekretärin Marion Caspers-Merk oder der Heidelberger Abgeordnete Lothar Binding säßen. Gleichwohl hat die Mehrheit der Fraktion einen fraktionsübergreifenden Gruppenantrag gezeichnet, der umfassende Rauchverbote über den Arbeitsschutz verlangt und die politische Debatte über den Nichtraucherschutz ursprünglich ausgelöst hat. Joachim Poß gehört nicht zu den Unterzeichnern.
Lothar Binding drohte, seinen Antrag notfalls wieder auf die Tagesordnung zu setzen, sollten sich die Länder nicht auf der Grundlage des geplatzten Kompromisses einigen können und auch außerhalb der Koalition nach einer Mehrheit zu suchen. Georg Löwisch