Drei märchenhafte Frauen

MUSIKTHEATER „Hoffmanns Erzählungen“ von Jacques Offenbach ist halb romantische Oper, halb parodistische Operette. Sängerin Yuka Yanagihara ist der Star einer Inszenierung im Hebbeltheater, die handwerklich schwächelt

Am Ende, glaubt man, ist die Mannschaft vor allem froh, alles über die Bühne bekommen zu haben

VON KATRIN BETTINA MÜLLER

Oper ist etwas für Kenner. Schon der Hörgenuss, mehr aber noch das Verstehen werden durch die Kenntnis des Stoffs und der Aufführungspraxis gesteigert, und ein Bild von den gedanklichen Auseinandersetzungen der Entstehungszeit hilft auch fast immer weiter. Oper ist kompliziert und aufwendig, nicht umsonst gehören die Opernhäuser zu den teuersten Theatern. Wenn eine Oper aber jenseits der großen Häuser und mit viel kleinerem Etat in Szene gesetzt wird, dann erwartet man eigentlich zweierlei: dass einerseits für ein anderes Publikum als den routinierten Operngänger andere Zugänge zum Stoff und seiner Verankerung in der Geschichte gebaut werden, als bloß auf Kenntnis zu setzen, und dass andererseits das Konzept auf die geringeren Mittel zugeschnitten ist.

Beides verfehlt die Interpretation von „Hoffmanns Erzählungen“ von Jacques Offenbach, die der Regisseur Florian Lutz und die Dramaturgin Janka Voigt für das Hebbeltheater inszeniert haben. Ihre Produktion, finanziert vom Hauptstadtkulturfonds, ist ein ehrgeiziges Projekt, die mit einem Orchester aus jungen Musikern, großenteils Studenten der Universität der Künste, eine nur um wenige Bilder verschlankte Fassung der Oper bringen will. Doch dabei gleitet sie allzu oft ins Amateurhafte ab: die Sänger, die neben den drei Hauptrollen auftreten, agieren oft mit einem unfreiwillig komischen und anachronistischen Gestenrepertoire, das nach angestaubter Fernsehoperette aussieht. Texte sind ungenau gesprochen, die verschachtelte Rahmenhandlung rauscht eine ganze Weile am Zuschauer vorüber, bevor er begreifen kann, wo die Szenen eigentlich spielen. Das Orchester spielt mehr tapfer als inspiriert und erhält kaum Möglichkeiten, in der Kolportage unterschiedlicher Operngattungen, mit denen Offenbach spielte, eigene Akzente zu setzen – das Schillern der Oper zwischen romantischem Märchen, frivoler Revue und betrunken vor sich hin delirierendem Mutmachgesang verpufft. Am Ende, glaubt man, ist die Mannschaft vor allem froh, alles über die Bühne bekommen zu haben.

Allein die Sängerin Yuka Yanagihara rettet dem Abend, was zu retten ist. Sie singt die drei märchenhaften Frauen Olympia, Antonia und Giulietta, die sich der Dichter Hoffmann erfindet, um sich die Verunglückung seiner Liebe zu der Sängerin Stella mit immer neuen und fantastischen Bildern zu erklären. Als Puppe Olympia führt Yanagihara die Kunst der Koloraturen ins Parodistische, mit kleinen Verzögerungen und Hängern, die das Virtuose der Opernkunst zu einem mechanischen und trügerischen Kunststück machen. Als Antonia, die sich zwischen dem Leben und der Kunst, zwischen dem Geliebten und dem Gesang entscheiden muss und dabei von einem Dämon geleitet wird, taucht sie im schönsten Akt der Inszenierung ganz ein in die dunkle und traurige Stimmung, in der jede Leidenschaft mit Verlust verbunden ist. Und auch als Giulietta, die Kurtisane, die Hoffmann sein Spiegelbild raubt, ist sie von überzeugend hartem Glanz.

Yuka Yanagihara hat schon mit David Marton zusammengearbeitet, einem Regisseur freier Opernproduktionen, der sich von kleinen an größere Stadttheater vorgearbeitet hat und dessen Interpretationen tatsächlich die Zahl der Zugänge zum Musiktheater erhöhen und sich auch einem befremdeten Blick auf die Welt der Oper stellen können. Dass ein kritischer und spielerischer Umgang mit der Opernliteratur möglich ist, der auch etwas Befreiendes hat, haben Marton und andere freie Opernprojekte schon oft bewiesen. Wie schwer das ist, lässt sich an „Hoffmanns Erzählungen“ wieder sehen.

Ein schlapper Loser

Janka Voigt und Florian Lutz sind an die Oper zwar mit dem Anspruch herangegangen, eine kritische Fassung des Bildes vom Künstler, der nur aus Unglück kreativ wird, und des Bildes von der Frau, die nur als Projektion funktioniert, zu liefern. Allein das tut die Oper, deren Libretto eine uneinheitliche Collage von romantischen Motiven ist, die das Dämonische teils ernst nehmen, teils aber auch nicht, ja selbst schon: Hoffmann, der Erzähler, entwirft sich in den drei Episoden als einer, der mit seinen Strategien der Liebeskummerbewältigung in stets neuen Entwürfen an der Realität vorbeirauscht. Seine Frauenbilder sind Projektionen, gewiss, andererseits verhandelt er in Olympia, Antonia und Giulietta aber auch die Ideale und Überhöhungen des Künstlerbildes der Romantik, während er sich als ihr Gegenüber immer nur als schlappen Loser darstellt. Das ist eine gewitzte Konstellation ohne eindeutige Opferrollen. Die hat man am Ende der Aufführung begriffen. Viel mehr aber auch nicht.

■ „Hoffmanns Erzählungen“, wieder im HAU 1, 11. Januar, 19.30 Uhr