: „In meinem vorigen Leben war ich ein Krieger“
LITERATUR Zoran Drvenkar ist Autor harter Thrillerkost und preisgekrönter Kinderbücher. In beiden Sparten ist er sehr erfolgreich. Wie geht das bloß zusammen? Ein Gespräch über unkontrollierbare Figuren, widerspenstigen Bartwuchs und den ultimativen Killer
INTERVIEW KATHARINA GRANZIN
Zoran Drvenkar, 1967 geboren, schrieb unter dem Pseudonym Victor Caspak & Yves Lanoisdas das erfolgreiche Kinderbuch „Die Kurzhosengang“. Sein Thriller „Sorry“ wurde 2009 mit dem Friedrich-Glauser-Preis ausgezeichnet. Sein neuer Thriller „DU“, in dem wieder zahllose Leichen die Wege der ProtagonistInnen säumen, ist konsequent in der zweiten Person Singular geschrieben. Auch im täglichen Leben zieht Drvenkar das Du anderen Formen der Anrede vor. Das gilt auch für Interviews. „DU“ ist im Ullstein Verlag erschienen.
taz: Woher hast du diese Vorliebe für das Du? Schon in deinem letzten Thriller, „Sorry“, hast du es eingesetzt, in vielen deiner Buchtitel taucht es auf. Wo kommt das her?
Zoran Drvenkar: Ich glaube, es ist das Bestreben jedes Autors, dem Leser sehr nahe zu kommen. Oder jedenfalls ist es mein Bestreben. Ich will dem Leser in den Nacken atmen. Als ich zum ersten Mal die Du-Form angewandt habe, hab ich gemerkt, oh, das ist aber nahe! Denn ich mache damit den Leser zu den Charakteren. Ich erzähle ihm, wie er sich fühlt und was ihm passiert. Das ist gefährlich, weil er dabei sowohl die guten als auch die negativen Charaktere abkriegt.
Interessant. Denn ich habe mich als Leserin gar nicht so angesprochen gefühlt. Ich hab das Du eher aufgefasst als: Der Erzähler demonstriert seine Macht über die Figuren.
Nee. Neenee. Das Problem hatte ich früher schon. „Cengiz und Locke“, eines meiner Kinderbücher, hab ich, vor Jahren schon, in Du-Form geschrieben. Alle waren verwirrt; und ich wollte eigentlich ein Vorwort schreiben, um zu erklären, was das soll. Aber da meinte meine Lektorin: „Das kannste nicht machen. Die Leute sind ja nicht doof.“
Und wie näherst du dich beim Schreiben den Figuren?
Wenn ich anfange, habe ich noch gar kein Bild von der Figur, keinen Namen, nur einen Er oder eine Sie. Ich schreibe sehr planlos, aus dem Bauch heraus. Bei „DU“ zum Beispiel, in der Eröffnung, wo ich über den Reisenden schreibe: Ich hab kei n Schimmer, was der will! Ich schreibe zwanzig Seiten über ihn und denke: „Was ist denn mit dem los?“ Und langsam entdecke ich ihn mit dem nächsten Kapitel. Zuerst geht es darum, alles rauszuschreiben, später dann, es zu verbinden.
Als du anfingst, über ihn zu schreiben – da wusstest du noch nicht, dass der „Reisende“ dieses Monster ist, das gleich aus dem Auto steigt und mordet?
Er war erst da, und ich wusste, irgendwas stimmt mit ihm nicht. Und dann stieg er aus. Und dann ging’s los. Und ich sitz dann wirklich so da, grins vor mich hin, schreib das alles, dann lehn ich mich zurück und denke: Was hast du denn jetzt schon wieder getan? Das klingt immer sehr psychotisch, ich weiß!
Äh, ein bisschen schon. Aber ist ja gut, wenn man’s auf diese Art rauslässt.
Ja, das auch. Aber ich glaube, viele Autoren sind auch froh, ihre Charaktere nicht unter Kontrolle zu haben. Sonst wär’s ja langweilig. Stell dir vor, ich wüsste: Da ist der Reisende, der steigt aus und bringt Leute um. Da ist ja keine Spannung dahinter!
Wo kam der Reisende denn überhaupt her?
Es steht eine wahre Geschichte dahinter. Das war vor zwei Jahren, ich war in Leipzig und wollte abends nach Köln fahren. Es hatte geschneit, und alle meinten, fahr bloß nicht! Ich fahr natürlich trotzdem. Und dann stand ich vier Stunden lang im Stau – komplett eingeschneit! Genau wie der Reisende. Es passierte weiter nichts, ich saß nur da und dachte, so ’ne Scheiße. Dann später irgendwann, als ich mit „DU“ längst angefangen hatte, mit ganz anderen Charakteren, schrieb ich plötzlich über den Reisenden und dachte an diesen Moment auf der eingeschneiten Straße. Und plötzlich steigt der Typ aus – und dann öffnete sich die ganze Geschichte! Ich wusste bloß noch nicht, was dahintersteckt, was der eigentlich tut, das musste ich erst noch aufdecken.
Wie passt das bloß alles zusammen? Wie kann man auf der einen Seite extrem harte Thrillerkost produzieren und auf der anderen Kinderbücher?
Die Kinderbücher sind für mich wie Urlaub. Als ich an „Sorry“ gearbeitet habe, meinem vorigen Thriller, bin ich nach der Hälfte zusammengebrochen. Ich musste aufhören zu schreiben, weil ich mich da in etwas reingeschrieben hatte, vor dem ich auf einmal selbst Panik hatte. – Also machte ich erst mal drei Kinderbücher. Ich schreibe gern über Kinder und Jugendliche, weil die durchgeknallter sind. Eigentlich mag ich Kinder gar nicht mal so; aber ich traue denen mehr zu, die haben alles noch vor sich, und sie haben auch mehr Humor.
Und der Kinderbuchurlaub hat dir dann geholfen, an „Sorry“ weiterzuarbeiten?
Es war immer noch wahnsinnig schwer. Ich hab damals das Versprechen abgelegt, mich erst wieder zu rasieren, wenn der Roman fertig ist. Das war eine Scheiße, sag ich dir! VIER Monate nicht rasieren – ich versteh die Typen nicht, die Bart haben.
Wie weit wächst denn der Bart in der Zeit?
Das war so ein Ding (zeigt etwa 20 Zentimeter in Länge und Breite an). Mann, war ich fertig. Ich bin den ganzen Winter hindurch so um vier Uhr nachmittags wach geworden, hab die Nacht durchgearbeitet. Ich hab kein Licht gesehen, bis der Roman fertig war. Danach wusste ich, so was mach ich nie wieder, das geht mir echt zu nahe. Dagegen war „DU“ ein Witz.
Was „Sorry“ wohl schwerer auszuhalten macht, ist, dass es das Böse aus dem Leben der Protagonisten herzuleiten versucht. In „DU“ kommt das Böse ja sozusagen aus dem Nichts. Glaubst du denn, dass es das Böse einfach absolut gibt, dass es im Menschen von Anfang an angelegt ist?
Ja. Ich trau das jedem zu, wirklich jedem. Ich gehe natürlich von mir aus – und ich glaube, meine Moral ist sehr, sehr niedrig. Ich glaube, in meinem vorigen Leben war ich irgend so ein Krieger, der aufgeräumt hat. Und ich glaube, wenn ich wütend wäre und Menschen verteidigen müsste, hätte ich wirklich gar keine Skrupel.
Ja, aber das sind ja nachvollziehbare Gefühle. Aber der Reisende in „DU“ ist nicht wütend. Er ist böse an sich und tötet ohne emotionalen Hintergrund. Ist das nicht eine sehr abstrakte Konstruktion?
Er hat ja eine Sehnsucht. Er sucht. Und ich wollte dieses Mal keine typische Tätergeschichte erzählen; ich wollte auf meiner Suche nach dem Bösen einfach schauen, was die Grenzen sprengt. Es reizt mich, Neuland in der Seele zu finden, und dann zu versuchen, die Geschichte dahinter zu verstehen. Ich kann jetzt wahrscheinlich nie wieder ein Buch über einen Mörder schreiben. Ich hab den ultimativen Killer schon gefunden.
Findest du das Bedrohliche, das deine Bücher transportieren, immer im normalen Alltag? Wenn man zum Beispiel Berlin gut kennt, kann die Lektüre von „Sorry“ oder „DU“ einem manche Ecken regelrecht verleiden.
Es kommt erst beim Schreiben, aber viel kommt auch aus der Kindheit. Meine Westberliner Kindheit war sehr unheimlich. Wir haben viel in Kellern gespielt; alte Kriegskeller, die miteinander verbunden waren. Unsere Wohnungen waren auch alle unheimlich. Die Wohnung, die ich in „Sorry“ beschrieben habe, in der die Leiche an die Wand genagelt ist, das war unsere Wohnung in der Philippistraße. Aber die hab ich dann nach Kreuzberg verlegt, weil mich ja keiner ernst nehmen würde, wenn das Buch ganz in Charlottenburg spielt.
Auch „Die Kurzhosengang“, dein wohl erfolgreichstes Kinderbuch, beginnt in einem dunklen Keller. Erstaunlicherweise spielt es ansonsten in Kanada. Warum?
Zuerst ist mir nur der Titel eingefallen – gerade als ich mir die Schuhe zugebunden habe, um mit meinem Freund Gregor essen zu gehen. Und Gregor meinte, klingt witzig, mach mal ’nen Roman draus! Und dann dachte ich an Kanada. Ich war aber noch nie in Kanada und wusste, niemand nimmt mir das ab, wenn ich darüber schreibe. Also habe ich im Verlag gesagt, lasst uns ein Buch rausbringen mit dem Titel „Die Kurzhosengang“, und ich erfinde die Biografien eines kanadischen Autorenduos und schreibe euch sogar Zeitungsartikel über das Buch. Dann hab ich Andreas Steinhöfel gefragt, ob er offiziell so tun würde, als ob er der Übersetzer sei. Mein Name verschwand völlig. – Das Buch kam raus und wurde ein Bestseller. Die Presse schrieb: Toll, mal ein Buch aus Kanada zu haben, das ist doch was ganz anderes. Andreas wurde kritisiert, weil er einige Fehler in der Übersetzung hatte! Und dann wurde das Ding für den Jugendliteraturpreis nominiert und bekam ihn sogar. Und Andreas bekam den Übersetzerpreis. Das war ein Spaß! Viele mochten mich danach nicht mehr so. Nach zwei Jahren hab ich’s dann langsam aufgedeckt und den zweiten Teil geschrieben. Übrigens wird es bald einen dritten Teil geben.
Wann fing denn das an, dass in deinem Kopf all diese spontanen Ideen passierten? Oder anders: Wann hast du mit dem Schreiben angefangen?
Mit zwölf, dreizehn. Ich hab immer Bücher gefressen. Außer Lesen hat mich nichts interessiert. Ich bin in der siebten Klasse sitzen geblieben, in der zehnten, und hab noch das Abitur vermasselt. Dann hab ich aufgehört und bekam mein erstes Stipendium, und auf dem Brief stand: Herzlichen Glückwunsch zum Schriftstellerstipendium. Und ich dachte, hey, ich bin Schriftsteller!
Und wann hast du dein erstes Buch veröffentlicht?
Viel später. Die ersten zehn haben’s nicht geschafft. Aber ich hatte mit 21 das erste Stipendium, 9.000 D-Mark. Und da hatte mein Freund Gregor einen brillanten Plan, der darin bestand, dass er von meinem Geld lebte, und wenn das alle war, wollte er Taxi fahren, um Geld für mich reinzuholen, weil er wusste, eines Tages werde ich gnadenlos berühmt, und dann kann er wieder von meinem Geld leben. Neun Jahre später – er ist sehr viel Taxi gefahren, und ich hatte fast jedes Jahr ein Stipendium – kam mein erstes Buch heraus, ich bekam einen Preis, ein Jahr darauf wieder einen Preis, und irgendwann reichte mein Geld tatsächlich für uns beide, und er konnte mit dem Taxifahren aufhören und ist Schriftsteller geworden. Gregor Tessnow, er ist der Autor von „Knallhart“.
Es wird vielleicht schwierig, Freundschaften noch sehr intensiv zu pflegen, wenn du jetzt aufs Land nach Irland ziehst.
Ach nein. Wer mich sehen will, kommt und sieht mich dann richtig. Das gefällt mir gut. Ich habe ja auch bisher schon auf dem Land gewohnt. Und mit Irland ist es so, dass ich mit meiner großen Liebe dorthin gehe, meiner Muse. Bisher haben wir viel zu weit auseinander gewohnt. Jetzt packen wir gerade einen großen Lastwagen voll mit Sachen, die mitsollen. Ihr gefällt allerdings mein Lieblingssofa nicht so. Aber es ist so ein breites, und ich will zu zweit mit ihr drauf sitzen. Denn dafür sind wir ja da drüben.