BEGEGNUNG MIT PROBLEMLATERNEN
: Ich klage an

VON ULI HANNEMANN

KOLUMNE

In jüngster Zeit geschieht es mir immer öfter, dass ich an verschiedenen Stellen Berlins von wildfremden Straßenlaternen angequatscht werde. So labert eine besonders geschwätzige Kandidatin am Hermannplatz, sobald ich dort vorbeikomme, neben mir plötzlich in brachialer Lautstärke über ihren angeblichen Heimaufenthalt los: „Die Heimleitung hat dies, die Heimleitung hat jenes, blablabla …“

Ich mag das nicht. Erstens zucke ich jedes Mal unheimlich zusammen, wenn da auf einmal diese Laterne losblökt. Zweitens nervt die neunmalkluge Oberleuchte damit, dass sie anscheinend ständig dasselbe erzählt – jedenfalls habe ich den Eindruck: „Die Heimleitung hat dies, die Heimleitung hat jenes, blablabla …“

Eine dermaßen unverrückbare Fixierung auf einen einzigen Punkt kann man sich im Grunde nur bei Fundamentalisten oder Straßenlaternen vorstellen. Und was soll das überhaupt für ein Heim sein: ein Waisenhaus für schwererziehbare kleine Laternchen, die beim geringsten Anlass ohne Abendstrom zu Bett gehen mussten? Hach Gottchen, mir kommen gleich die Tränen! Wirklich und wahrhaftig könnte ich hingegen weinen, wenn ich daran denke, dass ein Berliner Senat, der in einem fort Mittel für Bildung, Erziehung und Sozialarbeit streicht, zugleich offenbar doch über genügend Geldmittel verfügt, um seinen Straßenlaternen das Sprechen beizubringen.

Das ist doch völliger Wahnsinn! Nicht nur ökonomisch, sondern auch psychologisch und politisch werden hier komplett falsche Zeichen gesetzt. Ich habe Berlin mal gemocht, auch und gerade für seine lässige Extrovertiertheit, doch die Grenzen des guten Geschmacks sind an diesem Punkt längst überschritten. Herr Wowereit, Herr Buschkowsky – hiermit klage ich Sie an: Was haben Sie sich dabei gedacht; was ist das bloß für eine gottverdammte Freakshow?

Um nicht falsch verstanden zu werden: Ich habe gar nichts gegen Straßenlaternen an sich. Wenn die nachts sehen, dass sie alleine sind, können sie von mir aus leise vor sich hin singen oder beten, so viel sie wollen. Ich erwarte nicht mehr und nicht weniger, als einfach nur anständig beleuchtet und dabei nicht vollgequatscht, sondern in Ruhe gelassen zu werden – ist das denn zu viel verlangt? Selbstverständlich möchte ich genauso wenig von Ampeln oder Hundehaufen angesprochen werden.

Das Fatale an der Sache ist letztlich, dass ich mich nicht wehren kann. Dazu müsste ich nämlich hundertprozentig sicher sein, dass die Laternen wirklich sprechen. Immerhin habe ich anfangs selber meinen eigenen Ohren nicht getraut, und bevor nicht die allerletzten Zweifel ausgeräumt sind, ob tatsächlich alle Leute das hören, traue ich mich nicht, in der Öffentlichkeit zu schreien: „Laterne, lass mich verdammt noch mal in Frieden!“

Womöglich hören wir das ja auch alle, aber keiner gibt es zu. Analog zur Outing-Problematik im Profifußball möchte niemand der Erste sein und von den anderen dann im Regen stehen gelassen werden: „Ha ha, die arme Sau redet mit Straßenlaternen!“ Sonst wartet auf mich am Ende noch ein Heimaufenthalt der ganz speziellen Sorte. In einem demütigenden, hinten offenen Kittel, aus dem lächerlich mein blanker Arsch blitzt, husche ich als schauriger Schatten meiner selbst durch die Gänge und murmle wie in Trance: „Die Heimleitung hat dies, die Heimleitung hat jenes, blablabla …“