: Weihnachtswünsche werden wahr
Bis dahin war es ein netter Abend gewesen. Nach den weihnachtlichen und silvesterlichen Exzessen hatten wir uns auf eine leichte Mahlzeit mit frisch gepresstem Orangensaft getroffen. Die Gespräche drehten sich um das irische Wetter, das uns seit drei Wochen unbarmherzig Sturm und Regen bescherte – ein unverfängliches Thema, bei dem keine Meinungsverschiedenheiten zu erwarten waren.
Dann fragte Astrid: „Und was habt ihr euch zu Weihnachten geschenkt?“ Sofort brach es aus Áine heraus, als ob sie auf diese Frage gewartet hatte: „Er hat mir einen Schlagbohrer geschenkt. Zu Weihnachten.“ Aber mit Akkuschrauber, wandte ich ein. Den hatte sie sich für ihre Selbstbauregale gewünscht, auf denen irgendwelche Steinfiguren aufgestellt werden sollen, die sie sich selbst zu Weihnachten geschenkt hatte. Weil der Akkuschrauber bei einem deutschen Versandhaus kostenlos mit Schlagbohrer und 27 Bohrern angeboten wurde, hatte ich zugegriffen. Ich hätte den Schrauber natürlich getrennt verpacken und die Bohrmaschine selbst behalten können, aber was sollte ich damit? Ich bin doch kein Heimwerker.
„Und“, fragte Astrid, die mich nun für einen Klotzkopf hielt, „was hast du bekommen?“ Eine aufblasbare Puppe, antwortete ich. Astrid schwieg betreten, schaute ihren Mann Wolfgang an und ergriff unter dem Tisch seine Hand. Die beiden sind erst seit kurzem verheiratet. Sie sind noch davon überzeugt, dass sie sich niemals solch garstige Weihnachtsgeschenke machen werden. Es sei nicht so eine Puppe, wandte Áine ein: „Sie ist 60 Zentimeter groß, trägt eine Schürze und hat keinerlei Körperöffnungen außer am Rücken, um sie aufzublasen. Ich habe sie in einem Joke-Shop gekauft.“ – „Das ist lustig“, sagte Astrid, aber ihr Gesichtsausdruck verriet, dass sie genau das Gegenteil meinte.
Áine war aber nicht mehr zu bremsen. „Voriges Jahr hast du mir das Kochbuch für arbeitende Frauen geschenkt“, sagte sie. „Das war gemein.“ Na und, entgegnete ich, sie habe mir ein U-förmiges Wärmekissen geschenkt, das man in der Mikrowelle aufladen und sich um den Hals legen kann. „Dazu gibt es eine kostenlose Großpackung Inkontinenzwindeln“, sagte ich, „das habe ich im Schnäppchenladen gesehen. Die schenkst du mir wahrscheinlich zum nächsten Weihnachtsfest. Dafür bekommst du von mir dann Stützstrümpfe.“ Immer noch besser als die Küchenmaschine, die ich ihr vor zwei Jahren geschenkt habe, entgegnete Áine. „Ach“, rief ich, „den elektrischen Nasenhaarschneider hältst du dagegen wohl für ein geschmackvolles Weihnachtsgeschenk?“
Astrid und Wolfgang waren längst verstummt und lauschten gebannt unserer kleinen Diskussion. Um sie wieder ins Gespräch einzubeziehen, fragte ich: „Und was habt ihr euch zu Weihnachten geschenkt?“ Wolfgang, nach unseren Aufzählungen etwas verunsichert, schob verlegen seinen Pulloverärmel hoch. „Eine Armbanduhr“, sagte er. „Astrid hat mir eine sehr schöne Armbanduhr geschenkt.“ Nun schob auch Astrid ihren Ärmel hoch und sagte: „Wolfgang hat mir diesen wunderbaren goldenen Armreif geschenkt.“
Verdammte Spießer.
RALF SOTSCHECK