: Bös verzockt, Niedersachsen
Geplantes online-Casino bringt Landesregierung in Hannover in Bedrängnis: Entweder sie bricht den vom Ministerpräsidenten propagierten Lotto-Staatsvertrag, bevor er abgesegnet ist. Oder sie zahlt
von Benno Schirrmeister
Und dann sind da noch die Folgekosten, die Steuerausfälle zum Beispiel. Aber allein die Regressforderungen ans Land kämen auf „mindestens 30 Millionen Euro“ sagt Karen Krüger, die Sprecherin der Spielbanken-Niedersachsen GmbH. 30 Millionen Euro, das ist fast so viel wie ein Rekord-Jackpot beim Lotto, es ist mehr, als der Haushalt im kommenden Jahr für die Verbesserung des Kita-Angebots vorsieht. Oder auch: gut die Hälfte der Summe, die für den Tiefwasserhafen in Wilhelmshaven eingeplant ist.
Anfallen würde die für das Verbot eines online-Auftritts. Den bereitet die Tochtergesellschaft von Casino Austria vor, seit sie vor etwas mehr als einem Jahr in Niedersachsen die Spielbanken übernommen hat. „Wir planen ein komplettes virtuelles Casino“, so Krüger, mit Roulette und Black Jack und online-Poker. Starttermin: „Anfang kommenden Jahres“ – vorausgesetzt man bekomme die Genehmigung. Der Antrag liegt bei Finanzminister Hartmut Möllring (CDU). Und der sagt: „Wir werden nach Recht und Gesetz entscheiden.“
Das klingt vertrauenserweckend. Allerdings: Was Recht und Gesetz beim Glücksspiel ist, ist momentan reichlich unklar. Zwar stimmt es, dass „in Niedersachsen Spielbanken im Internet zulässig sind“, wie Krüger hervorhebt. Noch mit SPD-Mehrheit hatte Niedersachsen 2001 den Weg für online-Glücksspiele frei gemacht. Die Internet-Option vertraglich zugesichert hat die schwarz-gelbe Regierung dann den österreichischen Käufern des Landes-Casinos. Doch zuletzt ist Ministerpräsident Christian Wulff (CDU) als Streiter für den neuen Lotto-Staatsvertrag aufgetreten. Mit Sinn für Logik folgert Gewerkschafts-Sekretär Bernhard Stracke von ver.di daraus, dass Wulff „ein Internet-Casino nicht zulassen“ könne. Tatsächlich steht im Vertragsentwurf nämlich wörtlich, unter Paragraf 4, Absatz 5: „Die Veranstaltung öffentlicher Glücksspiele im Internet sind verboten“. Krüger wiederum hält das für einen dringend korrekturbedürftigen Satz, und sie meint damit nicht den Grammatik-Schnitzer. Für sie sei aber klar, dass in dieser Frage „das letzte Wort noch nicht gesprochen ist“.
Grund: Drei Millionen Euro hat die Spielbanken-Gesellschaft in ihr Netz-Projekt investiert, und die Sprecherin verweist darauf, dass man als Unternehmen „ja auch Vertrauensschutz“ beanspruchen müsse. Dass dem mit einer auf nur ein Jahr befristeten Betriebserlaubnis genüge getan wäre, kann niemand ernsthaft annehmen.
Trotzdem soll der neue Staatsvertrag ab 2008 gelten. Es sei denn, der europäische Gerichtshof schießt quer: Durch ein Urteil zum italienischen Glücksspiel könnte der tatsächlich das deutsche Regelungsvorhaben komplett umwerfen. Dafür müsste das Urteil allerdings ungewöhnlich klar ausfallen. Und vor der nächsten Ministerpräsidentenkonferenz ergehen: Momentan raunt man über einen Verkündungstermin im Frühjahr. Erwartet wird der Spruch aus Luxembourg seit Mai.
Max Fuchs ist der Gesamtbetriebsratsvorsitzende der niedersächsischen Spielbanken. Und er sähe das neue Lotto-Recht lieber schon früher in Kraft treten. Und mindestens das online-Verbot. „Wenn man zu Hause in Pantoffeln mit ein paar Bier am Computer sitzt“, sagte Fuchs gestern in Hannover, „gibt es keine moralische Hemmschwelle mehr.“
Da scheint was dran zu sein: Die Geschäftszahlen der Aktiengesellschaft Casino-Austria zeichnen in Sachen Internet das Bild extremer Expansion. Im Jahr 2004 betrug der Umsatz im online-Markt 428 Millionen Euro, im vergangenen Jahr 626, ein Plus also von über 46 Prozent. Er jedenfalls, so Fuchs,befürchte, „dass es zehntausende verarmte Leute geben wird“.
Ein bisschen klingt das, als gäbe es die bisher noch nicht, und als wären Web-Casinos noch Science-Fiction. Beides aber ist falsch: Ersteres lässt sich im Armutsbericht der Bundesregierung verifizieren. Das andere ist ein Stück Alltagserfahrung: Mindestens 3.000 virtuelle Zockerbuden spammen jede verfügbare Mailbox zu. Sie sind lästig, sie sind in Deutschland eindeutig illegal, aber besonders zu stören scheint die Anbieter das nicht. Auf 300 Millionen Jahresumsatz wird dieser mehr als graue Markt geschätzt, Ertrag für den Fiskus: 0,00 Euro. Nicht beziffern lässt sich hingegen der volkswirtschaftliche Schaden.
„Wir brauchen ein legales Angebot“, stellt der Psychologe Gerhard Meyer klar. Verbote seien definitiv „kein geeignetes Mittel zur Suchtprävention“. Der Bremer Uni-Prof gilt als Deutschlands führender Spielsuchtforscher (siehe Interview). Das Bundesverfassungsgericht zitiert ihn als Experten, als Gutachter befragen ihn die Parlamente bei den entsprechenden Gesetzesvorhaben.
Ebenfalls beraten hat Meyer die Niedersachsen-Spielbanken in Sachen Internet-Casino. Die Registrierung eines online-Spielers soll daher laut Krüger nur erfolgen, wenn „erhebliche Auflagen“ erfüllt sind. Zu den Hürden gehöre die Schufa-Abfrage, die Adress- und Alterskontrolle und die Androhung einer siebenjährigen Sperre bei Falschangaben. „Uns geht es darum“, sagt Krüger, „ein Angebot in gesicherten und geordneten Bahnen zu machen.“