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Archiv-Artikel

Ist jetzt mal gut, Spanien?

BALLBESITZ In den letzten Jahren haben Xavi und Kollegen alles gewonnen. Immer mit dem gleichen Spielstil

EIN JA VON JÜRN KRUSE0:1, 2:0, 2:1, 1:0, 1:0, 1:0, 0:0. Nein, das war nicht der griechische Weg ins Endspiel der EM 2004. Es war Spanien – bei der letzten Weltmeisterschaft in Südafrika. Das letzte 0:0 verwandelten die Roten (die damals in Dunkelblau spielten) in der Verlängerung noch in ein 1:0. Sie wurden Weltmeister. Glückwunsch.

So ähnlich holten sie sich zwei Jahre zuvor und zwei Jahre danach auch die europäischen Titel. Ja, sie haben die heillos überforderten Iren und die heillos überforderten Italiener abgeschossen, aber spannend oder mitreißend waren auch diese Auftritte nicht.

Pass, Pass, Pass, Pass, Pass, Pass, Pass, Pass, Pass, Pass. Kein Abschluss. Ball zurückerobern. Pass, Pass, Pass, Pass, Pass, Pass, Pass, Pass, Pass, Pass. Abschluss. Kein Tor. Ball zurückerobern. Immer das gleiche Muster. Bis aus dem „Kein Tor“ irgendwann „Tor“ wird. Und dann kommen nur noch Pässe.

Die Bayern haben unter Pep Guardiola in dieser Saison ähnlich gespielt. Manchmal bin ich samstags um 16.05 Uhr vorm Fernseher eingeschlafen. Ganz anders beim Pokalfinale gegen Dortmund. Das war spannend. Das war mitreißend. Weil die bayerischen Spanier konterten und vor allem – kämpften.

Die Bayern und der FC Barcelona, das zweite Team, das dem Stil der spanischen Nationalelf am nächsten kommt, sind übrigens beide vorzeitig in der Champions League gescheitert. Hoffentlich orientiert sich die Nationalmannschaft deshalb in diesem Jahr an den beiden Finalisten aus Madrid.

Wenn nicht, komm ich zumindest gut in den Schlaf.

Jürn Kruse

EIN NEIN VON DENIZ YÜCELSpanien! Wenn Casillas und Ramos und Puyol und Piqué und Alba und Busquets und Xavi und Xabi Alonso und Silva und Iniesta und Fàbregas und Villa etwas gezeigt haben, dann das: Es gibt einen linken Fußball. Einen Fußball jenseits von Blut und Kampf und Gras fressen und Lunge aus dem Leib rennen und dem ganzen Scheiß. Den Fußball als ästhetische Form. Als Kunst. Den Fußball der Spanier. Der Übergang vom Reich der Notwendigkeit ins Reich der Freiheit. Kommunistische Utopie im nobelsten Sinne.

Die Stärke der Spanier entsteht aus dem kollektiven Zusammenspiel, das sich erst im Laufe einer Partie entfaltet. Dass sie am Ende treffen, ist zwingend. Aber ihre Tore sind nie erzwungen. Kein Triumph des Willens, sondern die Schlussnote einer Symphonie, der letzte Strich eines Gemäldes.

In diesem Kollektiv herrscht keine Klassengesellschaft, es gibt keine Trennung in Stars und Zuträger. Dieser Kollektivismus ist keine gleichmacherische Diktatur des Mittelmaßes, die keine Individualität zulassen würde, sondern die Voraussetzung dafür, dass sich das Genie eines Xavi entfalten kann. Die Freiheit des Einzelnen als Voraussetzung der Freiheit aller. Die Verkörperung einer zivilen Gesellschaft, die keine Helden mehr braucht.

Noch etwas macht die Spanier so wundervoll: Anders als bei anderen Teams, die den schönsten Fußball ihrer Zeit spielten, die Ungarn der fünfziger, die Holländer der siebziger oder die Brasilianer der achtziger Jahre, ist ihre Kunst keine brotlose. Ein Glück. Die Linke darf auch mal gewinnen. DENIZ YÜCEL