piwik no script img

Archiv-Artikel

gammelfleisch u. a. Die große Verwurstung

Jetzt also die Wurst. Das neueste Kapitel des sogenannten Gammelfleischskandals behandelt in Naturdarm gepressten Fleischbrei, und wenn man darüber nachdenkt, ist das nur folgerichtig. Schließlich geht es seit Tagen um eine große Verwurstung. Verbraucher, Politiker und Medien verfahren nach bewährtem Schema: Sie produzieren Halbwissen, Meinung und Empörung, drehen alles mit einer Prise Heuchelei durch den Fleischwolf und formen das, was unten rauskommt, für ihre eigenen Zwecke.

Kommentar von ULRICH SCHULTE

In den letzten Tagen ließen sich die Zyklen öffentlicher Erregung wunderbar beobachten. Erst entdeckt die Öffentlichkeit überrascht, dass die Auswüchse der massenhaften Fleischproduktion vor der Stadtgrenze nicht Halt machen. Von den Lidl-Kühltheken her schallt der Ruf nach Aufklärung durch die Stadt. Schreien ist einfacher, als sich von Dokumentationen wie „We Feed the World“ über die Lebensmittelindustrie aufklären zu lassen – und anders einzukaufen.

Die zuständige Senatorin weist nach, dass die Behörden einwandfrei arbeiteten, ihr aber nicht rechtzeitig Bescheid gaben. Für die Opposition ist die Informationspanne dennoch ein Rücktrittsgrund. Warum die tolle Chance, dem Gegner zu schaden, ungenutzt lassen? Dass eine Salmonelle noch kein Gammelfleisch macht, dass kein einziger Krankheitsfall gemeldet wurde – geschenkt. Linkspartei und SPD revanchieren sich, indem sie mit ihren Senatorinnen einen Möchtegernausschuss veranstalten, bei dem die Opposition draußen blieb. Und die Zeitungen schreiben jedes Grillwürstchen, das mal kurz vom Rost gefallen ist, zur Skandalgeschichte hoch.

Zum Glück ist ein Charakteristikum der öffentlichen Erregung ihre Vergänglichkeit. Im neuen Jahr spricht niemand mehr von Gammelfleisch. Wetten, dass …?