: Die Fahrrad-Wellenreiter
KUNSTSTÜCK Auf dem Pumptrack am Ostbahnhof fahren Mountainbiker ohne zu treten. Tempo entsteht allein durch Gewichtsverlagerung
■ Dirts: Die Lehmhügel beim Dirtjump erinnern an die des Pumptracks, sind aber viel höher. Die Fahrer springen über die Hügel und zeigen ihre Tricks.
■ Downhill: Beim Downhill fahren die Mountainbiker auf vollgefederten, grobstolligen Fahrrädern. Bei Downhill-Rennen geht es darum, möglichst schnell bergab zu fahren. Die Strecke hat Hindernisse und Sprungschanzen. Es gibt sogar offizielle Weltmeisterschafts-Rennen.
■ Drops: Um Stufen oder Absätze zu überwinden, „droppen“ die Mountainbiker. Das heißt, sie lassen sich einfach fallen und landen möglichst gleichzeitig auf Vorder- und Hinterrad. Im Slopestyle „droppen“ die Profis auch mal zehn Meter.
■ Fourcross, auch bekannt vom alpinen Skisport, ist ein Rennen, bei dem vier Mountainbiker gleichzeitig starten. Am Ende erreichen die jeweils schnellsten zwei Fahrer die nächste Runde. Die Rennstrecke besteht aus Hindernissen, Sprüngen und Kurven.
■ Freeride ist ein übergeordneter Begriff, der im Mountainbiking das Fahren anspruchsvoller Strecken – zum Beispeil mit starkem Gefälle, großen Sprüngen und extremen Hindernissen – bezeichnet.
■ Slopestyle, bekannt durch die Snowboarder bei Olympischen Winterspielen, wird auch im Mountainbiking zunehmend populär. Ein Parcours setzt sich aus verschiedenen Hindernissen wie Drops oder Sprüngen zusammen. Es gewinnt nicht der Fahrer, der am schnellsten durchkommt, sondern derjenige mit den eindrucksvollsten Kunststücken. Die Tricks werden von den Judges, den Jury-Mitgliedern, bewertet.
■ Trail: Die unversiegelten Pfade, auf denen Mountainbiker unterwegs sind, bezeichnen sie als Trails. Singletrails sind so schmal, dass nur ein Fußgänger draufpasst. In der STS, der Single-Trail-Skala, wird der fahrtechnische Anspruch in drei Oberkategorien und sechs Unterkategorien gemessen.
■ Trial: Diese Rennform ist auch aus dem Motorsport bekannt. Ziel auf dem Fahrrad ist, verschiedene Hindernisse in Stadt oder Natur auf dem Fahrrad zu meistern. Hindernisse in der Natur sind zum Beispiel Bäche, Baumstämme oder Steilhänge. (för)
VON MORITZ FÖRSTER
„Fährst du uns eine Runde vor?“ Die beiden Jungs lassen nicht locker. Also schwingt sich Carlo Dieckmann auf sein Mountainbike und legt noch ein paar Extrarunden zurück. Hier auf dem Pumptrackgelände zwischen Warschauer Straße und Ostbahnhof, umgeben von Bahnschienen, fährt der 29-jährige, ehemalige Profi-Mountainbiker an einem sonnigen Freitagnachmittag vor zwei Grundschülern Lehmhügel rauf und runter. Immer wieder rauf und wieder runter, und dann wieder von vorn. Pumptrack fahren, das ist Wellenreiten auf zwei Rädern im Trockenen. Der Clou dabei: Auf einem Pumptrack treten die Fahrer nicht in die Pedale. Sie gewinnen durch Gewichtsverlagerung an Tempo.
Der Pumptrack in Friedrichshain ist in der Mountainbikeszene bundesweit bekannt. Neben seiner vergleichsweise langen Strecke und seiner zentralen Lage hat ihm auch die Gründungsgeschichte zu seinem Ruf verholfen: 24 Stunden lang buddelten, baggerten und stampften im Mai 2010 Berliner Pumptrack-Fanatiker, um das Gelände aus Lehm und Erde zu erschaffen. Und kaum, dass die Hobby-Bauarbeiter ihre Schaufeln beiseite gelegt hatten, standen sie auch schon auf ihren Rädern und drehten die ersten Runden. Dieser Baumarathon mit anschließender Extratour hat den Berlinern Respekt verschafft, auch in bergigen Gegenden Deutschlands, in denen Mountainbiker traditionell besser etabliert sind.
Lockere 10-Meter-Sprünge
Fleißig geschaufelt hat im Mai 2010 auch Carlo Dieckmann, der zwischen 2005 und 2008 um den ganzen Globus tourte und schon vor ganz anderer Kulisse gefahren ist. Er sauste in Australien, in den USA und in Kanada Slopestyle-Pisten und Freeride-Touren bergab, um mit seinen Stunts und 10-Meter-Sprüngen Jury und Besucher zu beeindrucken. Dieckmann war einer der besten deutschen Mountainbiker jener Zeit und er landete bei großen internationalen Rennen wie dem District-Ride in Nürnberg – ein Slopestyle mitten in der Stadt – im Jahr 2005 als bester Europäer hinter vier US-Amerikanern vor 45.000 Zuschauern auf Rang fünf.
Als sich der gebürtige Berliner 2008 nach Mountainbikealternativen in seiner flachen Heimatstadt umschaute, hatte sich in der Nähe des jetzigen Pumptracks bereits ein kleiner Mountainbiketreffpunkt entwickelt. „Dieser Spot zog uns in Berlin zusammen“, erinnert sich Dieckmann: „Pumptrack fahren war damals etwas Neues in Deutschland. Jeder wollte das mal ausprobieren.“ Doch der kleine Parcours rund 200 Meter nördlich des heutigen Geländes, der auch heute noch befahren wird, reichte bald nicht mehr aus.
Also pachtete der von sieben Gründungsmitgliedern 2009 gegründete Verein 52° ein neues Gelände von der Deutschen Bahn. „Als wir vom Grünflächenamt von der Möglichkeit für eine Strecke in so zentraler Lage erfuhren, haben wir sofort zugeschlagen“, erzählt der Vereinsvorsitzende Daniel Hocke.
Offiziell besteht der Verein 52° noch immer aus den sieben Gründungsmitgliedern. Einen Tag lang fahren dürfen aber alle, die einen Euro in die Vereinskasse einzahlen.
Etwa 40 Mountainbiker zählen zum engeren Kreis und greifen regelmäßig im Frühjahr zur Schaufel, um den Track für die neue Saison auf Vordermann zu bringen. Der Verein hat sich seine eigene kleine grüne Mountainbikeoase mitten in der Stadt erschaffen: mit Sonnendeck, Blumenbeeten und S-Bahnzügen, die wenige Meter entfernt am Gelände vorbeirauschen.
Daniel Hocke hofft, dass die Pumptrackoase weitere Fahrer anlockt. „Es wäre schön, wenn sich die Mountainbikeszene noch enger um unseren Pumptrack herum verknüpft und wir unsere Vereinsarbeit ausweiten können.“ Bislang gibt es keine regelmäßigen Öffnungszeiten. Die Fahrer organisieren sich bei schönem Wetter via Facebook und Handy. Der Verein hat auch keinen offiziellen Trainer und keine Fortbildungen. Tipps geben sich die Fahrer untereinander; zwischendurch erläutert Carlo Dieckmann in Workshops, worauf es beim Pumptrack ankommt. Die lässigen Berliner Mountainbiker mit eher informellen Strukturen ohne starkes Hierarchiegefüge müssen ihren Platz im deutschen Verbandswesen erst noch finden.
Hocke ist indes optimistisch, dass dies in naher Zukunft gelingt: „Zum Beispiel könnten wir in Zusammenarbeit mit einem Fahrrad-begeisterten Lehrer oder Erzieher ein zentraler Mountainbikeanlaufpunkt für Kinder und Jugendliche werden, mit regelmäßigen Öffnungs- und Trainingszeiten.“ Schließlich könne auf einem Pumptrack jeder fahren: von Kindern auf Treträdern über Senioren auf Mountainbikes bis hin zu Fahrern wie Carlo Dieckmann, die das Gelände auch für Trainingszwecke nutzen: „Ein bisschen Körper- und Fahrradgefühl reichen aus“, so Hocke.
Eines haben allerdings alle Fahrer gemeinsam: „Es geht um’s Rollen!“, erklärt Dieckmann. Erst dann macht das Fahren richtig Spaß. Nur wer den richtigen Rhythmus für die Wellen gefunden habe, komme in den „Flow“. Dafür benötigt man die richtige „Pump“- und Kurventechnik. Schwung gewinnen die Fahrer durch das „Pumpen“ das Reindrücken und Abstoßen vor und nach den Hügeln. Durch die permanenten Sinus-Wellen ist es sogar hinderlich, in die Pedale zu treten. Um möglichst wenig Geschwindigkeit durch unnötige Reibung zu verlieren, fährt man im Pumptrack mit vergleichsweise leichten Rädern und glatten Reifen.
Überraschend schnell
■ Wer zum Pumptrack an der Warschauer Straße möchte, muss via Ostbahnhof fahren: Der Track liegt am Ende der Straße „An der Ostbahn“. www.52grad.org
■ Auf dem Mellowpark an der Wuhlheide finden Biker und Skater verschiedene Halfpipes, Hindernisse und Tracks. Neben einem Pumptrack gibt es auch zwei Dirts für Profi-Fahrer. Das Tagesticket kostet 2 Euro. Betrieben wird die Anlage vom Verein all eins. www.mellowpark.de
■ Unterhalb des Müggelturms betreibt der Verein Downhill Berlin eine offizielle Downhill-Strecke. Der Verein organisiert im Mai jährlich das Rennen „King of Müggelz“. Fahren dürfen nur Vereinsmitglieder am Wochenende von 10 bis 20 Uhr sowie an zusätzlichen Tagen während der Schulferien. Die Strecke ist für Anfänger ungeeignet. www.downhill-berlin.de (för)
Die ersten Pumptracks entstanden um die Jahrtausendwende in Australien und den USA. Selbst ein erfahrener Mountainbiker wie Carlo Dieckamnn war anfangs überrascht, wie schnell er darauf wurde, ohne in die Pedale zu treten, und wie weit er „im Flachen springen kann ohne zu treten!“
Ansonsten „pumpt“ jeder, wie er es selber für richtig hält: „Einige wollen möglichst schnell fahren, andere nur etwas rumspringen“, berichtet Dieckmann. Eine Wettkampfform für Pumptrack hat sich daher noch nicht durchgesetzt. Allerdings gibt es Rennen, bei denen zwei Fahrer versetzt starten und am Ende derjenige gewinnt, der den anderen als erster einholt. Da das Fahren durch die permanente Gewichtsverlagerung Arm- und Beinmuskulatur enorm beansprucht, siegt dabei allerdings häufig der Fahrer, der schlichtweg länger durchhält.
Carlo Dieckmann freut sich, dass es mit dem Pumptrack mitten in Berlin einen Mountainbikeanlaufpunkt für die Jungs wie die beiden an diesem Freitagnachmittag gibt. Als er in deren Alter war, habe er solche Möglichkeiten nicht gehabt. Dieckmann, seit kurzem selbst Vater, hat im Laufe der Jahre unzählige Male die Lehmhügel befahren. Auf die Frage, ob ihm nicht etwas langweilig wird, immer wieder Runde um Runde zu „pumpen“, muss er lachen: „Manchmal schon.“ Dann schwingt er sich auf sein Rad und dreht die Extrarunden für seine beiden jungen Exklusivzuschauer.