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Archiv-Artikel

Eisbrecher

Der Sinn hüpft wie ein Gummiball: Marco Tschirpke und seine „Lapsuslieder“. Ein neues Album und eine Show

Wie ein geprügelter Chorknabe steht Marco Tschirpke hinterm Mikro: Schüchtern zupft er sein T-Shirt zurecht, fast windet er sich um den Mikrofonständer: Das nächste Lied funktioniert nur mit Titel, erklärt er und hält erst zwei, dann einen Finger in die Luft: „Zwei Einbrecher“ heißt es. Er setzt sich ans Klavier, reckt verhalten lächelnd den Kopf und singt: „Olli und Dirk bauen häufig Mist,/ der kaum einem Menschen gefällt./ Doch diesmal hätten sie/ mindestens ahnen können,/ dass das Eis/ auf dem See/ sie nicht hält.“ Ein wenig Pianogeplätscher, dann ist Ruhe.

Tschirpkes Liedminiaturen – er nennt sie „Lapsuslieder“ – scheinen wie auf die Seiten kleiner Würfel gefeilt. Wenn der Kabarettist die sanfte Stimme hebt, lässt er den Würfel fallen, der im Hirn des Zuhörers weiterrollt. Man folgt der Melodie. Der Sinn der Worte wechselt im Takt der kippenden Kanten. Die letzte Drehung hinterlässt eine kleine Beule im Verständnis, wenn der Text – scheinbar knapp – am Kalauer vorbeischrammt.

Im dritten Soloalbum des 31-jährigen Wahlberliners, „Lapsuslieder[3]“, paart sich pointierte Lyrik mit einer Musik, die von improvisierten Jazznummern bis zum Kinderlied reicht. Nur wenige Stücke sind länger als eine Minute. Das kürzeste „Über Fürth“ dauert gerade 32 Sekunden. Zu einer Fingerübung am Klavier besingt Tschirpke eine missglückte Kunstproduktion: „Gestern im Zug dacht ich noch:/ Machste mal ’n Lied über Fürth./ Wusst ich’s doch, dass es nichts wird!“ Wie das monotone Rattern eines Zugs klingt es, wenn die Dreierakkorde die Tonleiter hinunter rollen. Tschirpkes Lieder sind nicht nur vertonte Geschichten. Der musikalische Witz erschließt sich beim genauen Hinhören. „Cindys Fünf“ etwa ist ein Stück im 5/4-Takt.

So tiefsinnig humorvoll die Platte ist, so erstaunlich ist es, Tschirpke live zu erleben. Auf der Bühne spielt er Klavier wie angestochen. Auf seinem Schemel hopst er herum wie auf einem Gummiball, die Finger schlagen scheinbar zufällig die richtigen Tasten. Beim Lied über Henry Maske traktiert er das Piano buchstäblich mit Fäusten, um dann mit dem verschämten Hüftschwung eines Pennälers die nächste Zwischenmoderation zu vollziehen. „Ich hab nichts gegen Zwischenrufe – jedenfalls nichts Wirksames!“, kokettiert er. Die Vertreter der „Journaille“ bekommen prophylaktisch eins auf die Mütze und müssen sich vom studierten Musiklehrer beschulmeistern lassen, was eine Triole ist. Sie sollten sich die Information am besten gleich aufs Handgelenk schreiben, schiebt er nach, auf den „Puls der Zeit“. Als das Publikum aufstöhnt, quittiert er das mit dem Hinweis: „Das war kein Kalauer, das hab ich mir selbst ausgedacht.“ Und wieder vorbeigeschrammt.

LEA STREISAND

Marco Tschirpke: „Lapsuslieder[3]“ (Feez/Sony BMG)19. bis 23. 12.: Marco Tschirpke und andere im Quatsch Comedy Club, Friedrichstr. 107, 20 Uhr