Die Hüter des neuen Eisernen Vorhangs
Besuch bei der EU-Grenzagentur „Frontex“, die die Routen der Boat-People vor Westafrika absperren soll
WARSCHAU taz ■ An der Straße der Vereinigten Staaten 61a im Warschauer Stadtteil Grochow ragt ein Glaspalast in den Himmel wie eine fette, blaue Cruise-Missile. Der polnische Kaffeespezialist „Pożegnanie z Afryką“ (Abschied von Afrika) hat hier im Foyer einen Imbiss eingerichtet. Hippe Jungredakteurinnen dreier Frauenmagazine einer deutschen Verlagsgruppe stärken sich hier – und treffen manchmal auf eine verschwiegene Figur aus der 13. Etage. Dort und je ein Stockwerk darüber und darunter sitzt die EU-Grenzschutzagentur „Frontex“.
Besucher sind eigentlich nicht willkommen. Sie werden durch nüchterne Flure in ein ebenso nüchternes Büro geführt und dann keinen Augenblick mehr aus den Augen gelassen. Eine Führung durch das Amt sei aufgrund der Frontex-Richtlinien unmöglich, hatte Pressesprecherin Daniela Münzbergerova aus der Tschechischen Republik zuvor immer wieder betont.
Mit der Presse reden dürfen nur der Direktor und sein Vize. Ilkka Laitinen empfängt in einem Büro, das so steril ist wie sein Vorzimmer. Doch im Unterschied zu seiner Sprecherin bringt der Finne manchmal ein kurzes Lächeln auf seine Lippen. „Ich bin ein Praktiker“, sagt Laitinen. Schon seinen Wehrdienst hatte der General an der finnisch-sowjetischen Grenze absolviert; später war er Grenzschutzpolizist in Lappland, dann im Innenministerium, und darauf ging er wieder zurück an die inzwischen finnisch-russische Grenze, erzählt Laitinen. „25 Jahre Grenzschutz habe ich auf dem Buckel.“ Von alldem steht in seinem offiziellen Curriculum Vitae nichts. Es beginnt mit den ersten Brüsselreisen des Grenzers aus dem hohen Norden.
Ilka Laitinens Befehl lautet unter anderem, den Schutz der EU-Außengrenzen auf hoher See rund um die Kanaren von hier aus zu koordinieren. Das sei beleibe nicht seine einzige Aufgabe. Sie sei einfach der sichtbarste Teil von Frontex, sagt der Finne. Doch lieber spricht Laitinen über die Ausbildungsinitiativen von Frontex, die Koordination der Terrorabwehr auf den EU-Flughäfen, sein Team von 67 Frontex-Agenten aus 22 Ländern – darunter auch das Nicht-EU-Mitglied Norwegen. Doch verraten kann er nichts. Oder fast nichts. „Spanien hat uns zu Hilfe gerufen; wir koordinieren nur“, hält Laitinen fest und fügt hinzu: „Wir von Frontex können nicht mehr leisten, als die Mitgliedstaaten beizutragen gewillt sind.“
Die gemeinsamen Meerespatrouillen von spanischen, portugiesischen und italienischen Küstenwachschiffen haben bisher nicht den erträumten Erfolg gebracht. Weiterhin versuchen immer wieder Migranten, per Boot aus Westafrika auf die Kanaren zu gelangen. „Flüchtlinge?“, fragt Laitinen und erhebt zum ersten Mal seine Stimme: „Das sind keine Flüchtlinge, sondern illegale Migranten.“ Die Mission seiner EU-Agentur werde von den Mitgliedern falsch verstanden, klagt der Finne. Das Einzige, was man von Warschau aus tun könne, sei die Koordination. Ansonsten sei man ein Sündenbock für EU-Kritiker und für all jene, die mit dem Boat-People-Problem überfordert seien. „Eigene Frontex-Schiffe kommen überhaupt nicht in Frage“, sagt Laitinen und empfiehlt, sich mal auf dem Schiffsmarkt umzuschauen, was man für die 20 Millionen Euro kaufen könne, die Frontex 2007 erhalten soll. „Dafür bekommen Sie ein Zehntel von einem Patrouillenboot.“
Ilkka Laitinen schaut aus dem Fenster und zupft an seiner roten Krawatte. Auf dem Sims steht ein zwanzig Jahre altes Foto. Ein junger Finne im Tarnanzug steht neben einem schnauzbärtigen Russen, im Vordergrund haben die beiden Angelruten hingestellt. „Das war meine erste internationale Kooperationsaufgabe – die jährliche gemeinsame Grenzzaunkontrolle mit den Sowjets“, schmunzelt Laitinen. Zehn bis fünfzehn Sowjetbürger hätten damals jährlich nach Finnland rübergemacht. Mit eigenen Augen hat er nie einen Flüchtling gesehen.
PAUL FLÜCKIGER