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Archiv-Artikel

Realschüler hetzen gegen Hauptschüler

Die bevorstehenden Schulreformen in Schleswig-Holstein haben eine Art Klassenkampf ausgelöst: Realschüler gegen Hauptschüler, Realschullehrer gegen die Regionalschule, CDU gegen SPD. Am Ende könnte die neue Gemeinschaftsschule als der übergreifende Kompromiss herauskommen

AUS KIEL CHRISTIAN FÜLLER

Es ist kein kleiner Trupp, der die Straße hinunterzieht. Rund 1.000 Teenies dürften es sein, die gerade vor dem schleswig-holsteinischen Landtag demonstrieren. „Hauptschüler sind anders als wir“, erläutert ein 14-Jähriger. Und begründet: „Hauptschüler benehmen sich einfach anders, die sind total aggressiv.“

Zeitgleich protestierten vorvergangene Woche in Kiel, Lübeck, Itzehoe und Schleswig 5.000 Realschüler. Ihre Haltung ist klar: „Ich will nicht mit den dummen Hauptschülern zusammen unterrichtet werden“, sagte ein Schülersprecher in einem Krisengespräch im Bildungsministerium. Sogar das Wort Gesocks soll gefallen sein.

Was die kleinen Halbstarken im hohen Norden zum Klassenkampf reizt, ist die Schulpolitik. Im Februar tritt in Schleswig-Holstein ein neues Schulgesetz in Kraft, das Fusionen vorsieht. Zum einen soll eine neue Gemeinschaftsschule als Ort gemeinsamen Lernens für alle Schüler entstehen. Zum anderen werden die Haupt- und Realschulen zu so genannten Regionalschulen vereinigt. Solche existieren bereits sehr friedlich in einigen Bundesländern. Im Norden aber gibt es Krach.

Nun sind sie in Kiel empört über die darwinistischen Sprüche der Realschüler. „Das darf nicht sein, solche Sätze kann ich nicht mittragen“, sagt etwa der Vorsitzende des Verbands der Realschullehrer, Gerhard Kreft. Aber genau dieser Mann ist einer derjenigen, die den Schulkampf anheizen. „Es ist verantwortungslos, eine erfolgreiche Schulart wie die Realschule abzuwickeln“, sagt er – und plant mit Gymnasiallehrern eine Front gegen die große Koalition. Entweder SPD und CDU lassen von ihren Plänen – „oder wir leiten ein Volksbegehren zum Erhalt der Realschule in die Wege“.

Die Spaltung in der Schulfrage geht mitten durch die Koalition. „Die Gemeinschaftsschule ist nicht unsere Politik“, sagt etwa die bildungspolitische Sprecherin der CDU, Susanne Herold. Dazu muss man wissen: Herold hat ebendiese Gemeinschaftsschule mit den Sozialdemokraten ausgehandelt. Aber sie verabscheut sie zugleich.

Die CDU hatte diese Schulform schon im Wahlkampf erbittert bekämpft und als Einheitsschule bezeichnet. Das ist ein konservativer Kampfbegriff, der in den 50er- und 70er-Jahren die Gesamtschule in die Nähe der „kommunistischen Einheitsschule“ rücken sollte. Dann aber landete die CDU mit einer SPD in der Regierung, die ausgerechnet die Gemeinschaftsschule zum Hauptthema ihres Wahlkampfs gemacht hatte.

Kultusministerin Ute Erdsiek-Rave (SPD) will mit dieser Schulform endlich wegkommen von der frühen Auslese der Schüler nach der vierten Klasse. Die Gemeinschaftsschule soll mit neuen, individuellen Lernformen jeden Schüler optimal fördern – und so die Trennungen des dreigliedrigen Schulsystems überwinden.

Die CDU findet diese Idee nach wie vor abwegig, musste sich aber beugen. Zugleich forderte sie in Koalitionsgesprächen einen Tribut. Anstatt mit den Gemeinschaftsschulen landesweit neuartige Gesamtschulen zu ermöglichen, erzwang sie noch eine weitere Schulform: die Regionalschule, fusioniert aus Real- und Hauptschule. Damit wollte die CDU das Gymnasium als solitäre Schulform retten, bekommt nun aber richtig Prügel – von den verratenen Realschullehrern. Vor lauter Wut haben sie Staatssekretär Klaus Schlie (CDU) aus ihrem Verband geworfen. Der ist von Haus aus Realschullehrer – arbeitet allerdings im Finanzministerium, das mit Schule wenig zu tun hat.

Auch der CDU-Politikerin Susanne Herold, gleichfalls Realschullehrerin, droht der Rauswurf. Aber sie kämpft. Sie hat die Realschüler eingeladen – um ihnen zu erklären, wie die Regionalschule wirklich funktioniert. „Die Regionalschule ist nicht das Aus der Realschule“, sagte Herold der taz, „im Gegenteil wird sie ab der siebten Klasse in Reinform weiterbetrieben.“ Dann werden die Schüler nämlich „klar differenziert“ – in Realschüler und den Bildungsgang Hauptschule.

Verstehe das, wer will. Immerhin, die Realschüler sind auf dem Rückzug. „Ich bin dagegen, dass die Hauptschüler zu uns kommen“, sagt zwar der Sprecher der Realschüler, da bleibt er hart. Aber wenn man seine Mitschüler nach der Gemeinschaftsschule fragt, die alle Schulformen vereinigt, ist die Reaktion anders. „Da hätten wir nichts dagegen – da sind ja Gymnasiasten dabei.“