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Archiv-Artikel

Gewerkschaftsbund verkauft Häuser

Der DGB veräußert mehrere Immobilien an Privatinvestor – und hat nun ein Problem mit der Glaubwürdigkeit

DRESDEN taz ■ „Die Gewerkschaft verkauft ihre Seele!“, hieß es in den vergangenen Wochen nicht nur im Volkshaus Leipzig, wo der Protest gegen den beabsichtigten DGB-Immobilienverkauf besonders heftig war. Doch selbst eine bundesweite Unterschrifteninitiative „Stoppt den Verkauf der Gewerkschaftshäuser!“ hatte keinen Erfolg. Gestern verkaufte die Gewerkschafts-Immobiliengesellschaft GGI insgesamt 37 Liegenschaften an die Cerberus-Investmentgesellschaft.

Zum Paket gehören Gewerkschaftshäuser in Ostdeutschland und eines in Hannover sowie 19 Filialen der ehemaligen Bank für Gemeinwirtschaft in westdeutschen Großstädten. Über den Preis ist nach Angaben von Cerberus Stillschweigen vereinbart worden.

Auf einer Protestveranstaltung im Volkshaus Leipzig hatte DGB-Finanzchef Norbert Haak im November ausschließlich finanzielle Gründe für den umstrittenen Verkauf angeführt. Die zahlreichen Gegner des Verkaufs nicht nur in den eigenen Reihen fürchten nun um die Glaubwürdigkeit des Deutschen Gewerkschaftsbundes. Die Häuser in Leipzig, Dresden, Zwickau, Bautzen, Chemnitz, Magdeburg, Jena oder Suhl sind vielfach aus Spenden der Arbeiter errichtet worden. Sie sollten Stätten der Aufklärung, Geselligkeit und Erholung für die organisierte Arbeiterschaft sein.

Das Leipziger Volkshaus gilt als eines der größten in Europa. Beim Kapp-Putsch wurde es 1920 niedergebrannt, nach der Zerschlagung der Gewerkschaften durch die Nazis 1933 von der SA verwüstet, im Krieg teilweise zerstört und zu DDR-Zeiten wieder aufgebaut. Arbeitsrechtsanwalt Igor Münter, der im Volkshaus seine Kanzlei hat, hält den Verkaufsbeschluss für satzungswidrig. „Wer Wanderheuschrecken füttert, darf sich nicht wundern, wenn deren Hunger wächst!“, kommentiert er.

Eben jenen vom damaligen SPD-Vorsitzenden Franz Müntefering in die politische Debatte eingeführten Heuschrecken-Begriff benutzt Sachsens DGB-Vorsitzender Hanjo Lucassen jetzt wieder. „Mit dem Verkauf der Gewerkschaftshäuser wird ein wichtiges Stück Geschichte der Arbeiterbewegung in die Hand von ‚Heuschrecken‘ gegeben“, kritisiert er. Empörend sei, dass an Finanzinvestoren verkauft wird, deren Geschäftsstil in Sonntagsreden gegeißelt werde. Und Cerberus, in der griechischen Mythologie der den Hades bewachende Höllenhund, sei nun einmal eine der schlimmsten „Heuschrecken“.

Der seit zwölf Jahren agierende Fonds unter der Regie des ehemaligen Bush-Finanzministers John Snow investierte bisher rund 40 Milliarden US-Dollar in den USA, Asien und Europa. Er kaufte vor kurzem den Autozulieferer Delphi und die österreichische Gewerkschaftsbank Bawag.

Lucassen sitzt im Dresdner Gewerkschaftshaus, wo man mit einem besonderen Glaubwürdigkeitsproblem zu kämpfen hat. Vor einem Jahr stellte sich der DGB noch an die Spitze der Protestbewegung gegen den mittlerweile vollzogenen Verkauf aller 50.000 Wohnungen der kommunalen Wohnungsbaugesellschaft Woba. Die bundesweite Initiative gegen den Verkauf befürchtet außerdem, dass die Gewerkschaften in den Regionen kaum mehr wahrgenommen werden. Die sächsische WASG kritisierte, der DGB entziehe sich selbst „die materielle und ideelle Basis“ seiner Arbeit.

Leipziger Aktivisten erinnerten daran, dass der DGB schon beim Rückkauf der ostdeutschen Gewerkschaftshäuser von der Treuhand zu Beginn der Neunzigerjahre wenig Interesse an deren Geschichte gezeigt habe. Parallelen zur SPD drängen sich auf. Auch deren Engagement an den Stätten ihrer historischen Gründungs- und Programmparteitage in Gotha, Eisenach und Erfurt hält sich in Grenzen.

MICHAEL BARTSCH