Jan Feddersen über PARALLELGESELLSCHAFT : Linguistisches Ökoschaumgewölk
Auf der Konferenz „Grünes Leben“ wurde immer nur über Öko gesprochen. Und nie über das Essen
Das Essen war prima. Kerbelnudeln, Frikadellen aus Rindfleisch, Orangencreme in einer Art Weckglas, versetzt mit feinen Fruchtstückchen, dazu Kaffee, der ein wenig an fehlender Kraft litt, doch zwischendurch Bananen und Äpfel. Gegeben wurde die Tagung „Grünes Leben“, und wie der Name schon sagt, war es eine Konferenz aus den Reihen der Grünen über Verbraucherpolitik und das Leben mit ökologischem Bewusstsein.
Die drittgrößte Oppositionspartei klärt also auf, formuliert, sagen wir so: Anwartschaften auf eine Rückkehr zu dem, was man so Schalthebel der Macht nennt. Verbraucherrechte existieren quasi nicht, hier ein bisschen Stiftung Warentest, dort ein Hauch von Slow Food, aber keine Informationen.
Wir, die Konsumenten, die essen müssen – alleingelassen im Dschungel von Kleingedrucktem auf Waren: Welch feine Idee, sich eines Themas zu bemächtigen, bei dem die Grünen doch bislang nur durch das für sie Übliche glänzten – der hohen Nase ob der besseren Moral. Aber weit gefehlt: Zunächst sprach Renate Künast im Allgemeinen und dass das Grüne Leben Zukunft habe, dann aber meldete sich eine aus dem Publikum und gab zu bedenken, dass das Wort Verbraucher doch recht besehen menschen-, ja erdverachtend sei, denn etwas zu verbrauchen heiße, es zu vernichten. Nein, schöner, menschlicher, ganzheitlicher sei, würde man sich auf dieser Tagung nur noch auf „Braucher“ beziehen.
Nur kurz dachte ich, so einen semantischen Plunder werde doch keiner ernst nehmen. Wir sind doch nicht mehr in den frühen Achtzigern, als die Grünen mit linguistischem Ökoschaumgewölk („Menschinnen“, „unsere Geschwister, die Tiere“) das Publikum zudröhnten. Nahmen sie aber doch. Alle waren wir nur noch – „Braucher“. Keine Staatsbürger in einer Rolle auf dem Markt, sondern moralisch gesehen vielleicht korrekt: Braucher. Eine sprach von Dung, der mit Gebeten versehen seinen Segen auf göttlichen Äckern tue; eine andere schlug vor, sich mit Misteln zu beschäftigen und der Begabung, jeden Tag einem unbekannten Menschen ein Lob zu zollen („Das tut gut, auch mir selbst“). Auch entstand eine zünftige Pöbelei einer Podiumsteilnehmerin von McDonald’s gegenüber, als wäre man in Gorleben und eine Debatte ein grüner Ausdruck für taktlose Beschimpfung eines Gastes (Gästin?).
Warum lud man diese erst ein, wenn sie ohnehin keine Chance hat darzulegen, wie das Kontrollsystem dieses Imbisskonzerns funktioniert, nämlich perfekter als das, was in der Ökobranche und an diesem Sonnabend in einer Katholischen Akademie der Hauptstadt vor allem zählt: Moral, nicht das Recht oder die Furcht, ein Imagedesaster und damit Umsatzeinbrüche zu erleiden? Die Grünen – eine Bürgerrechtspartei? Eine Bürgermoralpartei, dies vor allem. Seltsam, all diese freundlichen Menschen, die nur von Öko sprachen und nie vom Essen selbst, dem konventionellen, den menschlichen Abgründen (in denen ein Burger lockt oder Pommes).
Ein Mann mit Strohhut – es war Winter, aber okay, warum auch nicht, Mode ist doch relativ! – sagte schließlich und bekam dafür wärmsten Beifall: „Billig ist mit uns nicht zu haben.“ Geiz sei eben ungeil. Öko ist teuer – und die Grünen lieben den Pomp um hohe Preise: Man zahlt – und schläft ruhiger. Auf Dinkelkissen? Jedenfalls war dies zu hören: Die Grünen kümmern sich um ihre Nische der zwei bis drei Prozent Ökonahrung – und der Rest ist ihnen insofern egal, als von ihm nicht die Rede war. „Alles muss Öko werden“, rief Renate Künast, die Bossin von allem. Größenwahn, typisch, klar. Aber woher nimmt eigentlich diese Partei das Selbstvertrauen, noch für alle sprechen zu können? Warum diese Tagung, auf der nicht mit einer Silbe von Rechten oder Gammelfleisch die Rede war?
Als die Orangencremes und Frikadellen vertilgt, die Kekse des Nachmittagscafés zerknuspert waren, trennte man sich. Am Ende meinte eine Besucherin: „Ich fühle mich echt gestärkt in meinem Lebensstil.“ Sie hielt das wahrscheinlich für eine politische Botschaft.
Fragen zu Öko? kolumne@taz.de Morgen: Philipp Maußhardt über KLATSCH