Mord ist mehr als ihr Hobby

Kathrin Kompisch ist Expertin für Morde. Nach zwei Büchern über deutsche Serienmörder der Weimarer Republik und der Nachkriegszeit widmet sie sich in ihrem neuesten Werk dem berüchtigtsten Serienmörder Englands: Jack the Ripper

von JENNI ZYLKA

Alle 20 Minuten fährt die S-Bahn von Hamburg-Hauptbahnhof nach Bergedorf im Südosten der Stadt. Die südöstlichen Wohngegenden des Bezirks bestehen aus schönen, großen hanseatischen Häusern mit schönen, großen hanseatischen Gärten und Bäumen davor. Im Dachgeschoss eines solchen Hauses sitzt Kathrin Kompisch an ihrem Computer. Im ersten Stock lässt der kleine Sohn Plastikautos aneinanderkrachen, in der Küche köchelt Tee. Im Erdgeschoss wohnt Kompischs Mutter.

Kathrin Kompisch ist Mordexpertin. Nach zwei Büchern über deutsche Serienmörder der Weimarer Republik und der Nachkriegszeit, die sie zusammen mit Frank Otto geschrieben hat, ist im Frühjahr ihr erstes eigenes Buch erschienen. Es heißt „Furchtbar Feminin“ und handelt von deutschen Mörderinnen. Im nächsten Jahr kommt, ebenfalls im Militzke-Verlag, „Die Erben Jack the Rippers“ heraus, ein Werk, das sich mit Mordfällen in England beschäftigt; ein Jahr später will sie ein Buch über Täterinnen im Nationalsozialismus veröffentlichen. Vorher, im Mai nächsten Jahres, bekommen sie und ihr Mann ihr zweites Kind.

Trotz der vom Verlag verschuldeten reißerischen Titel ist Kompischs Ansatz wissenschaftlich; sie hat Geschichte studiert und hatte früh einen starken Drang zur Erforschung der Kriminalität. Die Energie der kurzhaarigen Hanseatin mit dem breiten Grinsen ist körperlich spürbar. Sie wurde vor 33 Jahren in Bergedorf geboren und zog vor drei Jahren wieder in ihr Geburtshaus zurück, zusammen mit ihrem Mann, der neben seinem Studium als Altenpfleger arbeitet. Bereits ihre Magisterarbeit hat sie über den Serienmörder Fritz Haarmann verfasst. „Ich saß mit einem Freund zusammen, und wir suchten ein Thema für meine Arbeit“, erzählt Kompisch. „Er fragte: Na, wofür interessierst du dich denn? Da hab ich gesagt: Sex und Tod.“

Kompisch lacht, nicht verlegen, sondern selbstbewusst, sie redet deutlich, schnell und lebendig. Die fragwürdige Mischung aus Angst, Grusel und Faszination bringt viele Menschen dazu, wahre Geschichten über unerhörte Gewalttaten lesen zu wollen. Doch die wenigsten möchten bei ihrer Beschäftigung in die Tiefe gehen – aus Angst, den Abstand zu verlieren. „Während des Studiums“, sagt Kompisch, „hab ich schon immer Veranstaltungen über Kindesmord und Gewalt besucht.“ Das Mörderinnen-Buch zum Beispiel sollte eine alte Theorie widerlegen: „Mich nervte es, dass Mörderinnen immer als Opfer dargestellt werden, als Frauen, die einfach zusammenbrechen oder sich von einem Mann überreden lassen – das kann doch nicht sein, hab ich gedacht, die handeln doch auch bestimmt aus eigenem Antrieb, und den wollte ich eben erforschen.“

Dabei musste sie aber lernen, dass die begutachteten Täterinnen – natürlich genau wie viele Täter – zumindest zum Teil tatsächlich Opfer waren, in der Kindheit Gewalt erlebt hatten oder lange in Heimen steckten – „gerade in den 50ern und 60ern, in denen in der Heimerziehung Kinder gequält wurden, bei denen dann die Gewalttat unter Umständen – wie auch bei Männern – die Form von Konfliktlösung ist, die sie kennen.“ Vor allem kamen sie oft aus Beziehungen, in denen sie unter gewalttätigen Männern gelitten hatten.

Insofern, erklärt Kompisch, gebe es doch so etwas wie eine geschlechtsspezifische Benachteiligung: „Frauen bekommen in solchen Fällen kaum mildernde Umstände. Wenn eine Frau ihren Mann beispielsweise im Schlaf umbringt, nachdem er sie am Tag geschlagen hat, dann heißt es: Das ist ja nicht im Zuge der Prügelei passiert, und außerdem schlägt er sie ja schon seit Jahren, die kann doch jetzt nicht plötzlich auf Notwehr plädieren. Und dann hat er auch noch geschlafen, das ist dann Ausnutzung von Arg- und Wehrlosigkeit des Opfers. Dabei kann die das eben nur machen, wenn er schläft, weil er sonst stärker wäre.“ Ein Umdenken finde nur sehr langsam statt.

Vera Brühne, den großen deutschen Mordfall der frühen 60er, hat Kompisch ebenfalls untersucht: „Die wurde in der Öffentlichkeit so gehasst, weil sie angeblich nur aus Habgier mordete! Wenn das aus Eifersucht passiert wäre, dann hätte sie in der öffentlichen Meinung nicht so als Frau versagt“, erklärt Kompisch. „Bei Frauen vermutet man immer sofort etwas Gefühliges, handfeste Motive werden ihnen selten unterstellt. Was nur teilweise stimmt: Sie morden größtenteils im familiären Nahbereich, und da ist es eben auch eine Beziehungstat, wenn man seinen Mann umbringt um ihn zu beerben.“

„Stranger killing“, das quasi zufällige Töten eines völlig Fremden, komme bei Täterinnen fast gar nicht vor. Allerdings habe eine Autorin in den USA gerade ein Buch über 12 weibliche Serienmörder der letzten 30 Jahre herausgebracht, angeblich sind sogar Sexualtäterinnen darunter, Frauen, die zur sexuellen Befriedigung töten – ein Vorgang, der auch in „Monster“, dem Oscar-prämierten Film über eine Freier umbringende Prostituierte, unterschwellig thematisiert wurde. „Man muss zu den Untersuchungen in den USA aber auch sagen“, meint Kompisch, „die sind seit 30 Jahren besessen von Serienmördern, das FBI braucht Geld für die Forschung …“

Sie habe, sagt sie später in ihrem Arbeitszimmer, in dem Kinderfotos und ein Mousepad mit dem Bild eines Liebespaars neben den in zahlreichen Ordnern gesammelten Recherchen zu Serientätern, Kindesmorden und anderen grässlichen Taten stehen, schon manchmal Schwierigkeiten mit der Trennung des eigenen Lebens und der Brutalität und unfassbaren Morbidität, die ihr bei der Forschung begegnen. „Was mir an die Nieren geht“, sagt sie, „sind Sachen wie in England mit dem zweijährigen Jungen, der bestialisch von zwei Zwölfjährigen getötet wurde … ich hab im Internet ein Foto von ihm gesehen, wie der so freundlich in die Kamera lächelt, und dachte natürlich an meinen Sohn.“ Sie musste aufhören, an dieser Geschichte, einem der Fälle in ihrem im Frühjahr erscheinenden Buch, zu arbeiten. „Als mein Sohn noch kleiner war und ich für „Furchtbar Feminin“ dieses Kindesmörderkapitel geschrieben hab, musste ich öfter heulen. Aber das kann auch an den Hormonen liegen …“

Auch den aktuellen Fall des mutmaßlichen englischen Serienmörders, der fünf Prostituierte aus Ipswich umgebracht haben soll – am Dienstag hatte die Polizei bereits einen zweiten Mann unter Tatverdacht verhaftet –, verfolgt Kompisch natürlich. Bei ihrer Recherche für ihr Buch über englische Serienmörder hat sie sich tief ins englische Rechts- und Moralsystem eingearbeitet, das, so erklärt sie, ein Hinweis darauf sein könnte, wieso gerade Prostituierte dort besonders oft Mordopfer werden: „Es gibt zum Beispiel dort keine Meldepflicht“, sagt Kompisch, das mache es einerseits den Gesuchten leicht, zu verschwinden, und gleichzeitig den Behörden schwer, vermutete Opfer ausfindig zu machen – so könne man eine ganze Weile morden, eh jemand darauf aufmerksam wird.

Die Historikerin, die einer „Gesellschaft für interdisziplinäre, wissenschaftliche Kriminologie“ angehört, ist mit dem Interesse an Kriminalität aufgewachsen: Ihr Vater war Anwalt, der Bruder ist Richter. Vielleicht, so meint sie, hat die Tatsache, dass ihr Vater sich gewaltsam das Leben nahm, dass sie also „schon als Kind mit einem unnatürlichen Todesfall konfrontiert wurde“, ihr trotz traumatischer Erfahrung die Berührungsängste gegenüber solch belastenden Themen etwas genommen. Vielleicht sitzt sie darum am Computer, wenn das Kind in der Kita ist, und erforscht Bluttaten, vielleicht wird sie darum als Expertin für „die Abgründe weiblicher Seelen“ in Talkshows eingeladen.

Wenn sie im nächsten Jahr hochschwanger auf Lesungen geht, um ihr neues Buch über englische Morde und Unterschiede der Rechtssysteme vorzustellen, erwartet sie wieder Kommentare wie: „Aber jetzt schreiben Sie doch mal über etwas Schönes, oder?“ Kathrin Kompisch wird bei den Morden bleiben.