Filme aus dem Archiv – frisch gesichtet

LARS PENNING

So schnell sich das Kino zu Beginn des 20. Jahrhunderts als Massenunterhaltung etablierte, so flott traten auch jene Leute auf den Plan, die die Menschheit vor dem damit vermeintlich einhergehenden Verfall der Sitten bewahren wollten. Der ständige Kampf der amerikanischen Filmindustrie mit den Moralaposteln und die Drohung einer möglichen staatlichen Zensur führten 1922 zur Gründung des Produzenten- und Verleiherverbandes MPPDA, der unter Vorsitz des ehemaligen US-Postministers Will Hays eine Selbstzensur-Richtlinie ausarbeiten sollte. Damit ließ man sich allerdings Zeit, erst 1930 wurde der Production Code (oder auch Hays-Code) vorgestellt. Und dann hielt sich erst einmal niemand daran – bis man 1934, vor allem unter dem Druck der neu gegründeten katholischen Legion of Decency, doch die offiziellen katholischen Moralvorstellungen der Zeit rigoros zur Richtlinie dessen machte, was in amerikanischen Filmen noch möglich sein sollte. Das Arsenal-Kino zeigt jetzt in einer umfangreichen Reihe Filme aus der Zeit zwischen 1930 und 1934, die verdeutlichen, was man später nicht mehr in der gleichen Weise zu sehen bekam: die sexuellen Doppeldeutigkeiten von Mae West („She Done Him Wrong“), die glamourösen Versprechungen des sozialen Aufstiegs mit kriminellen Mitteln („The Public Enemy“), die Frei- und Anzüglichkeiten der Busby-Berkeley-Musicals („Footlight Parade“). Und natürlich komplett amoralisches Verhalten wie in der brillanten Gauner- und Dreieckskomödie „Trouble in Paradise“ (1932), in der Regisseur Ernst Lubitsch ein Abendessen, bei dem sich die Ganoven Gaston Monescu (Herbert Marshall) und Lily Vautier (Miriam Hopkins) ständig gegenseitig beklauen, als Vorspiel eindeutig sexueller Natur inszeniert. Als Gaston schließlich Lilys Strumpfband hervorholt und bittet, es behalten zu dürfen, ist der Höhepunkt erreicht: Sie springt umgehend auf seinen Schoß und nennt ihn Darling. (She Done Him Wrong (OmU), 20. 6., Trouble in Paradise (Om frz. U), 22. 6., The Public Enemy (OmU), 25. 6., Arsenal 1)

Natürlich ging es auch in Filmen späterer Jahre noch um Sex, aber das musste dann viel stärker verklausuliert werden: So erzählt Alfred Hitchcocks Kriminalkomödie „To Catch A Thief“ (1955) an der Oberfläche die Geschichte des ehemaligen Fassadenkletterers und Juwelendiebs John Robie (Cary Grant), der einen Nachahmer entlarven muss, um nicht selbst im Gefängnis zu landen. Doch eigentlich handelt der Film von Fetisch-Sex: Francie Stevens (Grace Kelly), die Robie an der Côte d’Azur kennen lernt, würde sich ihre Jungfräulichkeit nämlich nur allzu gern vom Dieb Robie rauben lassen und bietet auch schon mal unverhohlen ihre „Juwelen“ an. (OmU, 23. 6., Open Air Mitte)