: „Kekse backen find‘ ich cool“
INTERVIEW SUSANNE GANNOTT UND NATALIE WIESMANN
taz: Frau Dalkilic, Frau Cihan, werden Sie einen Weihnachtsbaum kaufen?
Hülya Dalkilic: Ich habe einen für meine Klasse gekauft. Wenn man Klassenlehrerin ist, finde ich das wichtig.
Ebru Cihan: Früher, in meiner Studenten-WG in Essen, hatten wir im Gemeinschaftsraum einen kleinen Baum stehen. In diesem Jahr habe ich nur die Küche ein bisschen dekoriert und ein paar Sterne ins Fenster gehängt. Aber ich bin in diesem Jahr auch gar nicht da an Heiligabend.
Ist das überhaupt ein besonderer Tag für Sie als Muslima?
Cihan: Ich habe immer darauf geachtet, dass ich an Heiligabend bei meiner Familie war und mit ihnen gegessen habe – da habe ich mich wohl anstecken lassen von den Christen. Früher hatten wir eine ältere deutsche Nachbarin, die uns am ersten Weihnachtstag eingeladen hat. Sie hat dann allen Familienmitgliedern ein Geschenk gekauft, und wir haben sie beschenkt. Wir haben uns feierlich angezogen, wie man das so kennt. Aber seitdem sie nicht mehr da ist, beschenken wir uns nicht mehr in der Familie. Es sind wirklich oft die älteren alleinstehenden Deutschen, bei denen die türkischen Kinder ihre ersten Weihnachtserfahrungen machen.
Dalkilic: Für mich bedeutet dieses Fest eigentlich nur, dass ich frei habe. Wir feiern keine Weihnachten. Es würde auch nicht passen, dass Muslime den Tag feiern, an dem Jesus geboren ist.
Cihan: Da gibt es Unterschiede: Die richtig Religiösen ignorieren Weihnachten. Die Liberalen, die kleine Kinder haben, stellen eher einen Weihnachtsbaum auf oder beschenken ihre Kinder. Ich habe eine Freundin, die einen deutschen Mann geheiratet hat, die feiern alle Feiertage, türkische und deutsche.
Dalkilic: Das kenne ich auch. Mein Bruder und mein Onkel sind mit Deutschen verheiratet, und ich habe einen deutschen Stiefbruder. Doch seit die Kinder meines Onkels groß sind, will er kein Weihnachten mehr feiern. Irgendwann hat er gesagt, dieses Jahr gibt es keinen Baum mehr. Vielleicht hat er Angst, dass die Kinder sich für die christliche Seite entscheiden.
Aber es gibt doch immer mehr Annäherung: Etwa wenn muslimische Mütter und ihre Kinder beim Martinsumzug mitlaufen.
Dalkilic: Das war noch nie ein Problem. Meine Mutter trägt ein Kopftuch und ist zu Sankt Martin mitgegangen – und auch zum Karnevalsumzug.
Cihan: Bei mir war das auch so.
Wenn Sie in der Schule eine Weihnachtsfeier machen, nehmen die muslimischen Eltern von sich aus daran teil?
Dalkilic: Sie kommen schon von sich aus – aber auch ein bisschen gezwungenermaßen. Denn sie wollen natürlich nicht, dass ihre Kinder die einzigen sind, deren Eltern nicht da sind. Und wir haben vorher auch überlegt, wie wir das Fest nennen sollen: ob „Weihnachtsfest“ oder „Jahresabschlussfeier“. Weil wir so viele muslimische Kinder haben. Schließlich haben wir es „Weihnachtsfeier zum Jahresabschluss“ genannt.
Wie reden Sie denn mit den muslimischen Kindern über solche Feste?
Dalkilic: Am Montag war zum Beispiel Adventsgottesdienst an unserer Schule. Ich habe vorher nachgefragt, welche Kinder mitgehen wollen, weil die Teilnahme ja freiwillig ist. Den muslimischen Schülern habe ich erklärt, dass es kein Problem ist, wenn sie in die Kirche gehen. Es steht nirgendwo im Koran geschrieben, dass man keine anderen Gotteshäuser betreten darf.
Und wie haben die Schüler reagiert?
Cihan: Manche muslimischen Kinder wollten mitkommen, andere nicht.
Dalkilic: Einige meiner muslimischen Schüler wollten zwar mitgehen, haben aber direkt gesagt: „Ich bete aber nicht.“ Oder: „Ich singe keine Weihnachtslieder mit.“ Ich habe auch gespürt, dass die Kinder mich stark beobachtet haben in der Kirche. Deshalb habe ich ein bisschen mitgesungen, um ihnen zu zeigen, dass das nicht schlimm ist.
Cihan: Auch die deutschen Kinder haben uns beobachtet.
Beschweren sich manche Eltern, wenn Sie die muslimischen Kinder ermuntern, zum Gottesdienst mitzugehen?
Dalkilic: Bisher noch nicht, ich bin auch noch nicht so lange Lehrerin. Aber es ist vorstellbar.
Cihan: Ich hatte einmal wegen etwas anderem einen Konflikt mit muslimischen Eltern. Im Türkisch-Unterricht habe ich mit den Kindern ein Buch von Aziz Nesin durchgenommen. Da gab es Eltern, die ihren Kindern verboten haben, das Buch weiterzulesen. Dabei ging es nicht um den Inhalt, sondern um den Schriftsteller, der in der Türkei als Atheist bekannt ist. Ich habe den Kindern gesagt, dass die Eltern zu mir kommen sollen. Aber natürlich ist niemand gekommen.
Fundamentalisten gibt es ja auch bei den Christen: Der Kölner Kardinal Meisner hat eine Debatte losgetreten, weil er verboten hat, dass katholische Kinder an multireligiösen Feiern teilnehmen. Sie könnten dadurch religiös verwirrt werden. Ist da was dran?
Cihan: Ich finde das Verbot von Meisner schwachsinnig. Ich bin aber selbst nicht besonders religiös. Ich finde es wichtig, dass man zusammen feiert und sich öffnet. Wie sonst sollen sich Muslime und Christen kennen lernen? Die deutschen und türkischen Familien haben, ganz banal gesagt, Angst voreinander.
Ist das wirklich so?
Dalkilic: Ich habe das in meiner Familie erlebt. Meine deutsche Schwägerin kam mit der Vorstellung zu uns nach Hause, dass mein Vater der Alleinherrscher ist und meine Mutter nur in der Küche steht. Sie war überrascht, dass ihre Klischees von den Türken nicht zutrafen.
Vor kurzem hat ein Duisburger türkischer Herkunft einen Ramadan-Kalender auf den Markt gebracht. Was halten Sie davon?
Cihan: Mir gefällt die Idee. Es ist ein Zeichen dafür, dass sich die Kulturen vermischen. Wie bei meiner türkischen Freundin, die mit einem Deutschen verheiratet ist: Sie bastelt ihren Adventskranz mit Olivenzweigen. Und meine Mutter legt auf alle Gegenstände in der Wohnung rote und grüne Decken.
Dalkilic: Es ist einfach so, dass kleine Kinder es toll finden, jeden Tag ein Türchen zu öffnen. Ich finde die Idee eines Ramadan-Kalenders super. Eine sehr religiöse Bekannte von mir hat jetzt ihrem Kind so einen Kalender gekauft. Das ist für mich gelungene Integration.
Wie ist das in Ihren Klassen, fühlen sich die Kinder ausgeschlossen, die keinen Adventskalender haben?
Cihan: Ich habe noch nicht gespürt, dass einem Kind etwas fehlt. Wir haben ja andere Gelegenheiten, wo die Kinder etwas geschenkt bekommen, beim Opferfest oder beim Zuckerfest.
Dalkilic: Ich habe die muslimischen Kinder in meiner Klasse gefragt, wie sie Weihnachten feiern würden. Das war sehr interessant. Sie haben nicht gesagt, dass sie sich Geschenke wünschen. Sie redeten davon, dass sie gerne einen Adventskalender hätten oder einen Weihnachtsbaum, und den würden sie so oder so schmücken. Auch viele erwachsene Muslime schwärmen übrigens von Weihnachten, weil das ein Familienfest ist.
Bekommen denn die deutschen Kinder umgekehrt etwas von den muslimischen Feiertagen mit?
Cihan: Die türkischen Feiertage sind nicht so präsent in Deutschland, sie sind ja keine offiziellen Feiertage. Die Kinder können zwar frei bekommen, aber meistens müssen ihre Eltern arbeiten.
Dalkilic: Wenn Ramadan ist und die Kinder fasten, bekommen das auch die deutschen Kinder mit. Weil es dann Kinder gibt, denen übel ist. Beim letzten Ramadan vor etwa zwei Monaten, kamen deutsche Kinder zu mir und sagten: „Mir ist schlecht“. Und dann direkt: „Ich faste aber nicht.“
Cihan: Hinter uns Lehrerinnen sind die Kinder während des Ramadans auch ständig hinterher. Sie fragen uns, ob wir fasten und wenn nicht, warum.
Würden Sie Weihnachten feiern, wenn Sie Kinder hätten?
Cihan: Ich würde das schon feiern, einfach weil es in ist. Das ist mit Karneval genauso. Wenn man in Köln lebt, dann feiert man mit oder man fährt weg. Wenn ich rausgehe und bin nicht verkleidet, komme ich mir doof vor. Deshalb würde ich an Weihnachten einen Baum kaufen und ihn schmücken.
Der Baum ist also das Schönste an Weihnachten?
Cihan: Da ist noch etwas anderes: Ich höre immer, dass es für viele die Gelegenheit ist, sich mit der ganzen Familie zu treffen. Andere sagen dann zwar, dass das auch an einem anderen Tag möglich ist, aber sie machen es nicht. Die Geschenke finde ich unwichtig. Aber das gemeinsame Essen gefällt mir, auch Kekse backen finde ich cool, das habe ich schon oft gemacht.
Dalkilic: Wenn ich Kinder hätte, würde ich Weihnachten irgendwie integrieren. Wie, weiß ich nicht, aber das kann man auch locker gestalten. Als meine Schwester vor vier Jahren ihre Hochzeitsfeier auf den 24. Dezember legte, war das im ersten Augenblick für meine deutsche Familie die Katastrophe überhaupt. Aber sie haben dann doch mit uns auf der türkischen Hochzeit getanzt. Und am 25. Dezember haben wir alles Weihnachtliche nachgeholt.