piwik no script img

Archiv-Artikel

Mike (23) verhaut Murat (19)

Gewalt im Knast ist jung. Mehr als die Hälfte der Täter ist unter 25 Jahre alt. Das belegt eine Studie, die NRW-Justizministerin Roswitha Müller-Piepenkötter gestern vorgestellt hat

VON BENJAMIN WASSEN

Es gibt viel Gewalt in den NRW-Gefängnissen. Sehr viel. Erheblich mehr als selbst der Kriminologische Dienst des Landes erwartet hätte.

Gestern stellte Justizministerin Roswitha Müller-Piepenkötter die Studie „Gewalt unter Gefangenen“ in Düsseldorf vor. Diese hatte sie im Frühjahr in Auftrag gegeben, nachdem eine Aachener Richterin Jugendliche nicht mehr in U-Haft gesteckt hatte – aus Sorge um gewaltsame Übergriffe. Eine begründete Sorge, wie nicht zuletzt der grausame Foltermord von Siegburg gezeigt hat.

Über das Ausmaß der Gewalt war auch der Kriminologische Dienst überrascht. Die Wissenschaftler hatten vermutet, dass sie für eine aussagekräftige Stichprobe von etwa 300 Vorkommnissen bis ins Jahr 2003 zurück gehen müssten. Für diesen Zeitraum meldeten die Vollzugsanstalten dann aber mehr als 2.400 Übergriffe. „Das Problem der Gewalt wurde offenbar unterschätzt“, sagte Wolfgang Wirth, Leiter des Kriminologischen Dienstes.

„Die Gewalt entsteht nicht in erster Linie in den Vollzugsanstalten“, so Ministerin Roswitha Müller-Piepenkötter. Vielmehr werde sie von außen in die Gefängnisse herein getragen. Beinahe zwei Drittel der Täter im Knast seien „wegen früherer Gewaltdelikte verurteilt und inhaftiert worden.“ Dem kann die SPD-Opposition nicht folgen. „Es ist ein Irrwitz zu glauben, wenn die Außenwelt nicht so böse wäre, ginge es in den Gefängnissen friedlicher zu“, so SPD-Fraktionsvize Ralf Jäger.

Die Wissenschaftler untersuchten auch das Alter der Täter. Demnach seien „über die Hälfte unter 25 Jahre alt“, sagte Müller-Piepenkötter. Daher seien Präventionsmaßnahmen insbesondere für „den Jugendvollzug und die Jungtäter im Erwachsenenvollzug“ nötig.

Neun von zehn Gewaltfällen entstehen der Studie zu Folge „ungeplant und spontan.“ Die meisten Übergriffe endeten einigermaßen glimpflich. In knapp zehn Prozent der Fälle aber traten schwere Verletzungen wie Knochenbrüche oder Gehirnerschütterungen auf. Waffen seien nur in sechs Prozent der Fälle eingesetzt worden, so Wirth.

Müller-Piepenkötter geht davon aus, dass die nach dem Siegburger Mord eingeleiteten Maßnahmen ausreichend sind, um die Situation zu verbessern. Im kommenden Jahr sollen 414 zusätzliche Vollzugsbeamte beschäftigt werden. Außerdem ist geplant, knapp 900 neue Haftplätze einzurichten.

Die rechtspolitische Sprecherin der Grünen, Ruth Seidl, forderte im Zusammenhang mit der Studie eine fortlaufende Statistik der Gewalt in den Haftanstalten, um „ein qualitatives Vollzugskonzept zu entwickeln, das ein schnelleres Gegensteuern ermöglicht“.