piwik no script img

Archiv-Artikel

Fakten, Fakten, Fakten

Brockhaus vertieft sich nach langer Pause in die Welt des Sports und fördert Erstaunliches zu Tage

VON MARKUS VÖLKER

Es hat sich gelohnt, etwas länger auf die sechste Auflage des Sport-Brockhaus gewartet zu haben. Der rote Schinken liegt nicht nur gut in der Hand, die 543 Seiten sind auch gestopft voll mit Sport, Sport und nochmals Sport. Das ist ein Vergnügen für den bibliophilen Sportfreund. Die Welt der Leibesübungen breitet sich in aller Fülle vor dem Fan aus – kompakt, praktisch, gut. Und neuerdings auch schön bunt.

Lange Zeit war der Sport-Brockhaus vergriffen, auch in Antiquariaten suchte man das Nachschlagewerk vergeblich. Vergilbt lag es in manchen Redaktionen und gut sortierten Haushalten. Die fünfte Auflage wurde 1989 gedruckt, lang ist’s her. Seitdem hat der Sport Quantensprünge unternommen und sich um die eigene Achse gedreht. Höchste Zeit, die bewegte Welt neu zu bündeln – und von A (Aamodt, Kjetil André; norwegischer alpiner Skiläufer) bis Z (Zabel, Erik; deutscher Straßenradsportler) zu rubrizieren.

Seit Anfang des Jahrtausends gibt der Brockhaus-Verlag einbändige „Sachlexika“ heraus. Wie aus dem Verlag verlautet, habe man sich erst einmal den „klassischen Bildungsthemen“ zugewandt, um sich dann dem Wein oder der Gesundheit in Gänze zu widmen. Zuletzt ist dann auch der Sport drangekommen. Das war überfällig.

Im Internet wird zwar allerhand Sportives im Online-Lexikon Wikipedia abgelegt, doch kann man hier nie sicher sein, ob die Information wasserdicht und stimmig ist. Wikipedisieren ist ein Risikosport. Liebhaber von Nachschlagewerken wollen ohnehin nicht auf den sinnlich-haptischen Genuss verzichten und ein Lexikon, schwer wie ein Ziegel und durchdringend nach Hochglanzpapier duftend, in den Händen halten.

Neu in der aktuellen Ausgabe sind die gelb unterlegten Infokästen, die „bedeutenden Ereignissen der Sportgeschichte“ gewidmet sind. Auf Seite 101 findet man eine besondere Pretiose: Dort wird mit der Legende aufgeräumt, Cheerleading sei Frauensache. Der erste Cheerleader war ein Mann. Er hieß Johnny Campbell, ein Student der Universität von Minnesota. Der berühmteste Cheerleader, erfährt man, ist heute Präsident der Vereinigten Staaten von Amerika, George W. Bush. Er war Pausenfüller an der Yale-Universität, soll dort aber keine Pompons respektive Puschel geschwenkt, sondern vor allem durch die Flüstertüte posaunt haben. Es ist dennoch eine erstaunliche Karriere.

Der Sport-Brockhaus versammelt scheinbar viel unnützes Wissen. Ist es wirklich wichtig zu wissen, wie hoch ein Pferdsprung-Barren ist (1,35 Meter bei turnenden Männern), dass das Winkelmaß der Kugelstoß-„Sektorenlinien“ genau 34,92 Grad beträgt, eine Asphalt-Kegelbahn 28,50 Meter lang ist, was eine Kruppade im Pferdesport ist, was es mit den „Klingenlagen“ im Fechtsport auf sich hat und dass der Zielkreis beim Curling einen Radius von exakt 1,83 Meter hat? Ist das wichtig? Ja, natürlich, denn im Sport geht es um Regeln, um statistische Akkuratesse und pingelige Begutachtung. Diese Fakten braucht der Sport – und der Leser.

Ein paar Schwächen hat der neue Brockhaus. Die Sporthistorie kommt ein bisschen zu kurz, was beispielsweise bei den Besprechungen der „Leibesübungen“ auffällt. Finden sich in der 89er-Ausgabe noch Ausflüge zur Höhlenmalerei der Steinzeit, zu „Ägypterinnen beim Ballspiel“ und einem „kultischen Pferderennen vor dem Potala in Lhasa“, so steigt der aktuelle Sport-Brockhaus erst im 16. Jahrhundert ein. Umfangreicher sind indessen die Kapitel über Doping und Mediensport. Sie werden in sogenannten „Sonderartikeln“ besprochen, die aber wegen ihrer Oberflächlichkeit und ausgiebig beschrittener Allgemeinplätze („Doping beeinträchtigt die Integrität des Sportlers“) für den Kenner wenig hilfreich sind. Diese Einschübe waren wohl mehr Pflichterfüllung als Passion. Am guten Gesamteindruck ändern sie freilich wenig.

„Der Brockhaus Sport“. Brockhaus, Mannheim/Leipzig 2006, 543 Seiten, 34,95 €