Geschichte einer Ausstellung
FOTOGRAFIE In Köln eröffnet die rekonstruierte Ausstellung „New Topographics: Photographs of a Man-altered Landscape“. Sie revolutionierte 1975 das Verhältnis von Fotografie und Kunst
■ Die Ausstellung: „New Topographics: Photographs of a Man-altered Landscape“ läuft bis zum 27. März in der SK Stiftung Kultur/Photographische Sammlung, Köln.
■ Der Katalog: Der von Britt Salvesen herausgegebene Katalog ist in bestechender Qualität im Steidl Verlag, Göttingen 2010 (2. Auflage) erschienen. Er enthält zwei Essays, eine Auswahl von Bildern der vertretenen Fotografen, die Reproduktion des ursprünglichen 48-seitigen Katalogs von 1975. Dazu die vollständige, durch Thumbnails ergänzte Werkliste und eine Bibliografie. 304 Seiten, gebundene Ausgabe, 49,90 Euro.
■ Das Buch: Empfehlenswert auch Julia Galandi-Pascual, „Zur Konstruktion amerikanischer Landschaft. Kuratorische und künstlerische Strategien der Fotoausstellung New Topographics: Photographs of a Man-altered Landscape“. Modo Verlag, Freiburg/Br. 2010, 224 Seiten, 32 Euro.
VON BRIGITTE WERNEBURG
Fern der Metropolen zeigte das George Eastman House, International Museum of Photography, in Rochester, New York, vom 14. Oktober 1975 bis zum 2. Februar 1976 eine Ausstellung, die sich als eine maßgebliche Kunstausstellung des 20. Jahrhunderts entpuppte. Nur eine bescheidene Zahl von Besuchern sah die von William Jenkins, dem Assistent Curator am George Eastman House, konzipierte Schau mit Fotografien von Robert Adams, Lewis Baltz, Bernd und Hilla Becher, Joe Deal, Frank Gohlke, Nicholas Nixon, John Schott, Harry Wessel Jr. und Stephen Shore. Der Ausstellungskatalog war ein schlichtes Heft, in dem neben einem kurzen Essay von Jenkins 27 der ausgestellten 168 Arbeiten reproduziert waren, Auflage 2.500 Exemplare. Von den damaligen Besuchern dachten wohl die wenigsten, dass sie Zeuge eines Paradigmenwechsel in der Fotografie- und Kunstgeschichte wären. Auch die Kunstkritik nahm die Ausstellung nur vereinzelt und mit sehr gemischten Reaktionen wahr.
Trotzdem erlangte „New Topographics: Photographs of a Man-altered Landscape“ legendären Status in der Ausstellungs- und Mediengeschichte des 20. Jahrhunderts. Sie trug wesentlich zum Einzug der Fotografie in die zeitgenössische Kunst bei, und ihr internationaler Einfluss auf die nachfolgenden Fotografengenerationen kann kaum überschätzt werden. Im Jahr 2009 wurde „New Topographics“ rekonstruiert. Nach Stationen in Rochester, Los Angeles, San Francisco und dem Landesmuseum Linz, ist sie in der SK Stiftung Kultur/Photographische Sammlung in Köln zu sehen, bevor sie nach Rotterdam und Bilbao weiterreist.
Im Trend der Zeit
Was machte die Ausstellung so exemplarisch? Paradoxerweise waren es wohl zunächst ihre vermeintlichen Schwächen. Der heutige Direktor des George Eastman House, Anthony Bannon, damals Filmemacher und Journalist bei den Buffalo News, erinnert sich, die Schau „langweilig“ gefunden zu haben. So zitiert ihn Alison Nordström in ihrem Beitrag zur Rezeptionsgeschichte von „New Totographics“ in dem von Britt Salvesen, der Direktorin des Center for Creative Photography an der University of Arizona, verantworteten und im Steidl Verlag erschienenen Katalog zur Ausstellungsrekonstruktion. Mark Klett, im Visual Studies Workshop in Rochester eingeschrieben, fand die Fotos „absichtlich langweilig“ und er mochte nicht, wie sich die Fotografen von ihren Motiven distanzierten. Das der Schau zugrunde liegende Konzept der Objektivität sah er nicht eingelöst.
Tatsächlich war William Jenkins’ kuratorisches Programm durch die Auseinandersetzung mit dem dokumentarischen Aspekt der Fotografie geprägt, wie die Ausstellung „The Extended Document: An Investigation of Information and Evidence in Photographs“ Anfang 1975 zeigte. Damit lag Jenkins im Trend der Zeit. Mit dezidiert konzeptuellen Ansätzen hatten zuvor schon Künstler wie Dan Graham (Homes for America, 1966), Ed Ruscha (Every Building on the Sunset Strip, 1966) und vor allem Martha Rosler (The Bowery in Two Inadequate Descriptive Systems, 1974) die (sozial-)dokumentarische Fotografie kritisch hinterfragt.
Den beteiligten Fotografen ging es aber nicht um Kritik, sondern um Bestandsaufnahme
Anstelle solcher konzeptueller, selbstreflexiver Ansätze akzentuierte Jenkins, der den Kunstanspruch der Fotografie vertrat, vor allem die Frage des fotografischen Stils. Das auffallende Charakteristikum sämtlicher Fotografen von „New Topographics“ sah er in ihrem „stillosen Stil“, der den Alltag zu seinen Bedingungen Gestalt annehmen und in all seiner bedauerlichen Gewöhnlichkeit zu Wort zu kommen ließ. Diese Deckungsgleichheit von schnödem fotografischem Stil und schnödem Alltag war für Jenkins die Gewähr für die Wahrhaftigkeit des Abgebildeten, den dokumentarischen Gehalt der Aufnahme. Darüber hinaus sah er darin auch eine Verbindung zur frühen Landschaftsfotografie eines Timothy O’Sullivan, der im 19. Jahrhundert die Besiedlung des nordamerikanischen Westens fotografisch begleitet hatte. Zu dieser Zeit, so Jenkins, habe sowohl das Landschaftsmotiv wie die Fotografie keine Vergangenheit und damit „keinen Stil“ gehabt.
Letzterer Verbindung geht auch Julia Galandi-Pascual in ihrer letztes Jahr veröffentlichten Dissertation nach. Sie sieht den Erfolg der Ausstellung in deren Beitrag „Zur Konstruktion amerikanischer Landschaft“ begründet. Sie kommt zu dem Schluss, dass sowohl die kuratorischen wie die künstlerischen Strategien von „New Topographics“ darauf abzielten, an die vorgängige visuelle Tradition, besser: Konstruktion nordamerikanischer Landschaft anzuknüpfen.
Damit lässt sich allerdings die internationale Wirkung von „New Topographics“ nur schwer erklären. Wesentlicher noch als Jenkins’ Neudefinition des Dokumentarischen als (stilloser) „Stil“, den Galandi-Pascual als „amerikanischen Nationalstil“ bestimmt, dürfte zur lang anhaltenden Wirkung von „New Topographics“ beigetragen haben, dass die Exponate das ländliche Nordamerika und seine Naturlandschaft unwiderlegbar als Raum moderner Vergesellschaftung zeigten: als Ort der Moderne, mithin als internationales Phänomen einer neuen Raumordnung und Raumerfahrung. Hochsignifikante wie gleichermaßen banale Motive wie Starkstrom- und Telefonleitungen, Mobile Homes, Bungalows, Bürogebäude, Industrieparks, Parkplätze, Motels und Highways sind denn auch in dem Hier und Jetzt zu erkennen, dem die ungeteilte Aufmerksamkeit der Ausstellungsteilnehmer galt.
Dokumentarische Coolness
Ob sie sich dessen bewusst waren oder nicht: Ausgerechnet im traditionellen, pittoresken Motiv der Landschaft reflektierten die Bilder besonders von Adams, Baltz, Deal, Gohlke, Schott oder Shore unmissverständlich den räumlichen Ausdruck einer durch und durch modernen, rationalem ökonomischem Kalkül unterworfenen Lebenswelt.
Die Bilder reflektierten eine moderne, ökonomischem Kalkül unterworfene Lebenswelt
Auch wenn sie in ihren Aufnahmen einen unbeteiligten, objektiven Blick kultivierten, rückten sie die Landschaft nicht nur als Motiv, sondern auch als Medium der modernen Gesellschaftsordnung in den Fokus der Aufmerksamkeit. Selbst die Fotografien der Bechers, bei denen es sich doch nur um „Morphologies and Anonymous Sculptures“ handeln sollte, wie ihre Ausstellung 1972 im George Eastman House hieß, erinnerten daran, wie Landschaften einfach umgepflügt wurden, als man in großem Maßstab Rohstoffe erschloss. Das spätere Missverständnis, in „New Topographics“ den Ausgangspunkt einer nachfolgenden, kritischen Landschaftsbetrachtung zu erkennen, wie sie etwa „America Ground Zero“, die 1993 erschienene Langzeitstudie der Fotojournalistin Carole Gallagher über die Situation in Nevada und Utah nach der atomaren Verseuchung durch die Atomtests der Vierziger- und Fünfzigerjahre darstellt, ist insofern fast zwangsläufig.
Den beteiligten Fotografen ging es aber nicht um Kritik, sondern um Bestandsaufnahme. Für sie stellte Distanzierung, nicht Engagement oder besondere Empfindsamkeit, die große Herausforderung dar. Denn ihre Coolness überführte ihren dokumentarischen Ansatz in eine konzeptuelle Herangehensweise und belegte damit ihren Anschluss an die zeitgenössische Kunst. Ein Kritiker bezeichnete denn ihre stilistische Haltung zutreffend als „minimalistisch“ und „maskulin“. Verfolgt man nun die geschlechtsspezifische Erfahrung mit der modernen Raumordnung der Landschaft, die im letzten Stichwort ins Spiel kommt, zurück, stößt man auf ein eher unerwartetes Kapitel der Fotogeschichte. Nämlich auf die französischen, britischen und deutschen Soldaten im Ersten Weltkrieg des 20. Jahrhunderts, für die, so der französische Autor Pierre Robiquet, „die Schlacht eine Landschaft ist, die auf sie schießt“. Hier konnte nur eine weitgehend automatisierte Fotografie die gegnerischen Stellungen in der, nach jedem Angriff neuen, Topografie der Landschaft ausmachen.
Gewiss, die Idee, sie könnten sich als quasi automatisierte Fotoroboter auf einen Kriegsschauplatz begeben, sobald sie die Vororte von Los Angeles oder das ländliche Colorado ins Visier nahmen, wäre den Fotografen von „New Topographic“ abwegig erschienen. Trotzdem, die nach jedem weiteren Businessplan von Industrie oder öffentlicher Hand menschengemachte, neue Topografie der Landschaft ließ die Unterscheidung des amerikanischen Nationalheiligen der Landschaftsfotografie, Ansel Adams‘, zwischen „sakralen“ und „profanen“ Landschaften, hinfällig werden, genauso wie seinen kontrastreichen, scharf gezeichneten Stil, mit dem er seine Motive „aus der Wirklichkeit herauslösen“ wollte. Profane Landschaften erzwangen einen profanen Stil. Dafür spricht auch, dass der kürzlich verstorbene Fotograf Heinrich Riebesehl, der „New Topographics“, kaum kennen konnte, Anfang der 70er Jahre den gleichen Ansatz wählte, um deutsche Agrarlandschaften zu fotografieren.