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Archiv-Artikel

JEAN PETERS POLITIK VON UNTEN Kapital ist Mus

Manchmal ist die deutsche Sprache seltsam. Kapitalismus, zum Beispiel, was für ein Wort: Kapital-ist-muss. Ein Befehl. Ein Begriff wie eine ausgeleierte, fratzenartige Puppe, die man reflexartig in die Ecke schmeißen will

Warum tun sich Deutsche so schwer mit den Wörtern Kommunismus und Kapitalismus? In England, in Frankreich, in Spanien habe ich es als Selbstverständlichkeit erlebt, darüber zu reden. Es sind ideologische Strömungen, die sich gegenseitig bedingen und in den großen Propagandabüchern der Zeitgeschichte für hohe Auflagen sorgten. Eins liegt auf der Hand. In keiner anderen Sprache wird im Hinterkopf ein Befehl gehört: Kommun-ist-muss! Kapital-ist-muss! Da wird es doch gleich angenehmer, wenn wir das u ein wenig strecken und es so lesen, wie es dasteht: Kapital ist Mus!

Natürlich liegt es an der geografischen Lage Deutschlands. Zwischen den Fronten sind die Leute hier von diesen großen Wörtern und den Gräueltaten der beiden großen Blöcke oft genug erschlagen worden. Denn genau das ist ein entscheidender Haken bei diesem Spiel. Diese Begriffe sind von so vielen Seiten umkämpft worden, dass sie wirken wie ausgeleierte, fratzenartige Puppen, die man reflexartig in die Ecke schmeißen will. „Du bist ein Kapitalist“ – was soll ich damit auch anfangen, wenn ich das höre?! Mit großen ideologischen Begriffen außerhalb der Philosophiestunde um sich zu werfen, wirkt meist erdrückend, all diese -ismen, sei es Individualismus, Kapitalismus, Kommunismus oder Darwinismus. Da dreht sich doch der Magen um! Keiner von denen ist muss! Ein versehentlicher Fauxpas der deutschen Sprache?

Es ist allerdings sinnvoll, sich anzuschauen, was gerade schiefläuft und was wir dem entgegensetzen können. Beispielweise leben zunehmend viele meiner Freunde prekär und fangen an sich ernsthaft Gedanken über ihren Lebenslauf zu machen – statt sich entspannt politisch engagieren zu können. Ganz klar eine grundempörende Angelegenheit dieses Schweinesystems.

Also lasst uns doch ein Finanzkollektiv gründen, in dem jedeR in einem mathematischen Automatismus beispielsweise 30, 50 oder 70 Prozent der monatlich erbeuteten Knete auf ein gemeinsames Konto umleitet und ihren Anteil der 90 Prozent von diesem Haufen zurückbekommt. Mit den restlichen 10 Prozent unterstützen wir TeilzeitaktivistInnen, BewegungsarbeiterInnen oder eigene spannende Projekte. Alles was fehlt, ist eine gewitzte Software, die das ökonomisch ermöglicht, ohne eigene Buchhalter zu haben, einen Weg, Finanzämter darüber aufzuklären, und eine Zauberpille gegen den uneingeschränkten Glauben an die Heiligkeit des Geldes. Na gut, wir sagen alle: „wir wissen, dass Geld ’ne Erfindung ist“. Aber kollektiv handeln wir so, als sei Kapital ein Muss.

Es ist mir völlig egal, ob wir solche Versuche, aus der Scheiße zu kommen, „Communityismus“, „solidarische Ökonomie“ oder „private soziale Marktwirtschaft“ nennen. Hauptsache, raus aus dem Mus.

Der Autor ist Clown und Gelegenheitskommunist Foto: S. Noire