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Archiv-Artikel

Satt und doch nicht glücklich

ESSEN Bauern, Gentechnikgegner und Tierschützer protestieren an diesem Samstag in Berlin. Eine Agrar-Großdemonstration gab es noch nie. Hat das Thema Potenzial für eine Bürgerbewegung?

Essen ist politisch

Der Anlass: In Berlin findet gerade die Grüne Woche statt, nach Veranstalterangaben die weltgrößte Messe zu Ernährung und Landwirtschaft. Am Rande treffen sich Landwirtschaftsminister und Agrarkonzerne auf Einladung der Bundesregierung.

■ Der Protest: Die Demonstration für eine Wende in der Agrarpolitik beginnt um 12 Uhr am Berliner Hauptbahnhof und führt zum Brandenburger Tor.

VON JULIA SEELIGER

Am Ende ist es nicht so sehr das Leid der Hähnchen, das die Bürger wirklich wütend macht. Auch nicht die Angst um die Qualität ihres Fleisches. Was sie wütend macht, ist der Fakt, dass sie bei einem Großprojekt nicht mitreden dürfen. So wie bei Stuttgart 21.

In dem Ort Wietze in Niedersachsen ist der Bau einer Anlage geplant, in der jährlich etwa 130 Millionen Masthühner geschlachtet werden sollen. Die lokale Bürgerinitiative gegen das Vorhaben wurde vor einem Jahr als Verein gegründet, heute hat sie 1.250 Mitglieder, vor allem aus der Region. Der Betreiber der geplanten Massenschlachterei sei nie aufgetaucht, sagt Vereinsvorstand Norbert Juretzko. „Was der sagt, das hören wir über drei Ecken. Da gehen die Bürger auf die Barrikaden.“ Auch, weil es die Politik der Industrie zu einfach mache. Um einen Bolzplatz für Jugendliche durchzuboxen, brauche man drei Jahre, die Schlachtanlage in Wietze sei innerhalb von neun Monaten festgeklopft gewesen.

Einige Mitglieder der Bürgerinitiative Wietze werden an diesem Samstag zu einer Demonstration nach Berlin kommen, deren Motto Wut ist: „Wir haben es satt!“ Über 100 Verbände, Initiativen und Ökounternehmen rufen dazu auf. Ihr Anlass ist ein Treffen von Landwirtschaftsministern und Agrarkonzernen am Rande der Grünen Woche.

Mindestens 5.000 bis 10.000 Menschen werden sich dem Protest voraussichtlich anschließen – ein Novum. Eine Massendemonstration zu Agrarpolitik gab es vorher noch nie. Schon vor Monaten hatten sich dafür viele zusammengetan: Gentechnikgegnerinnen, Biobauern, Tierrechtler, Umweltschützerinnen, Nord-Süd-Aktivisten.

Dann kam der Skandal um Dioxin in Schweinefleisch und Eiern durch verunreinigtes Tierfutter. Massentierhaltung, Lebensmittelsicherheit und Verbraucherverantwortung wurden plötzlich Tagesschau-Themen. Für den Protest ergab sich eine neue Chance. Durch Aktualität hat es zuletzt etwa beim Thema Atomkraft geklappt, auch Bürger, die noch nie auf einer Demonstration waren, auf die Straße zu holen. Kommen an diesem Samstag Menschen, die Angst um ihr Essen haben? Solche, die gerade anfangen sich mit ihrem Konsum zu beschäftigen, vielleicht ein Buch gelesen haben wie „Tiere essen“ von Jonathan Safran Foer oder „Anständig essen“ von Karen Duve gelesen? Wutbürger, Foodbürger.

Das seien die wahren Erfolge, sagt Fischer, wenn eine Molkerei umstellt. „Da ist der Druck spürbar“

„Der Zeitpunkt ist optimal“, sagt Bewegungsforscher Sebastian Haunss von der Universität Konstanz. Aber was die Mobilisierungsfähigkeit für das Thema angeht, ist er pessimistisch. „Die Verbände sind präsent. Doch eine Breitenmobilisierung, wie sie für eine solche Massendemo notwendig wäre, war im Bereich Verbraucherschutz noch nie zu sehen.“ Verbraucherproteste hätten keine lange Halbwertszeit. Und um wirklich erfolgreich sein zu können, bräuchte eine Bewegung auch eine wirkliche Basis.

Zumindest für diese Demonstration sprechen einige Fakten gegen Pessimismus: Allein vom Bund für Umwelt und Naturschutz Deutschland fahren an diesem Wochenende mehr als 40 Busse nach Berlin, insgesamt werden es wohl an die 80 sein. Ein Teil der Busse wurde erst noch in den vergangenen Wochen geordert, wegen vieler Spontananmeldungen. Die Initiative Slowfood hat sich mit dem Aufruf zur Demonstration zum ersten Mal überhaupt politisch geäußert – und in den Ortsgruppen, die sich treffen, um dem guten Essen zu frönen, kam das „überraschend gut an“, sagt Jochen Fritz aus dem Demonstrationsbüro. 450.000 Flyer und 18.000 Plakate wurden gedruckt – alle sind verschickt.

Und es gibt einige, die eine Basis schaffen wollen. Leute wie Christoph Fischer in Bayern. Er ist Mitglied der 2006 gegründeten Initiative Zivil Courage. „Wir haben keine Hierarchie, wir sind kein Verein, wir haben keine Kasse“, sagt Fischer. Zivil Courage setzt sich hauptsächlich gegen Agro-Gentechnik ein, mit Filmen, Vorträgen und „Bewusstseinsarbeit bei den Verbrauchern“. Im lokalen Edeka an der Kasse nach dem Marktleiter zu fragen, das funktioniere, sagt Christoph Fischer. Öffentlich kaufen. „Wenn das einer macht, ist das ein Spinner, wenn viele kommen, wird’s ausgelistet.“

Eine Molkerei der Region erlaubt ihren Zuliefererhöfen nun nur noch gentechnikfreie Fütterung. Das seien die wahren Erfolge, sagt Fischer, wenn eine Molkerei umstellt. „Da ist der Druck spürbar.“ Nun soll sich endlich auch die Kirche positionieren, findet der Aktivist, „auch wenn die Angst haben“. Die Konservativen, die CSUler hätten doch auch schon erkannt, dass sie „den Anschluss verlieren“. Einzelne von denen sähen Bayern ja durchaus als „Feinkostladen Deutschlands“. Und die Bauern an der Basis eh – bei den Landwirten habe man, was die Forderung nach einer anderen Landwirtschaft betrifft, „die kritische Masse“ bereits erreicht.

Massentierhaltung und Verbraucherverantwortung wurden plötzlich „Tagesschau“-Themen

„Bauernproteste sind traditionell spektakulär“, sagt der Bewegungsforscher Sebastian Haunss. Da werde immer mal wieder Mist oder Milch auf die Straße gekippt oder auch mal Straßen blockiert. Die Arbeitsgemeinschaft bäuerliche Landwirtschaft will mit ihrer Treckerkolonne am Samstag Verbraucherschutzministerin Ilse Aigner einen Besuch abstatten und dann vom Messegelände zur Großdemonstration fahren.

Die Bedingungen für eine Diskussion um eine gerechte Ernährungspolitik sind gut. Die EU-Kommission überarbeitet aktuell die Agrarsubventionen, die Arbeitsgemeinschaft bäuerliche Landwirtschaft plant dazu einen europaweiten Bürgerdialog.

Die Bauern suchen den Schulterschluss. Landwirte, Aktivisten und erboste Bürger, diese Koalition hat schon funktioniert. Bei den Anti-Atom-Protesten im Wendland. Damals hatte es auch mit Skandalen und Treckerkolonnen begonnen.