Viel Ehe

BINDUNG Ausgerechnet in Bayreuth forscht Evam Kofi Glover über Polygamie in Ghana. Er weist nach, dass sie unter Intellektuellen in Großstädten wieder zunimmt

„Du musst klar kalkulieren können, wenn du es als Mädchen zu was bringen willst“

KOFI EVAM GLOVER

AUS BAYREUTH WALTRAUD SCHWAB

Dick eingepackt steht Evam Kofi Glover im Schneematsch vor dem „Operncafé“ in Bayreuth und haucht in seine Hände. Er ist zu früh da und wartet in der Kälte, denn das Café ist geschlossen. Auch das „Haus Wahnfried“ hat zu. Es wird umgebaut. Ehemals war es das Wohnhaus von Richard Wagner – dem Komponisten, Dirigenten, Dramatiker, Schriftsteller, dem mitunter nachgesagt wird, dass er ein maßloser und nimmersatter Liebhaber gewesen sein soll. Das Operncafé und das „Haus Wahnfried“ wären hervorragende Kulissen für das Gespräch mit Kofi Evam Glover über die moderne Polygamie in Ghana gewesen. Denn darüber schreibt der 53-jährige Westafrikaner seine Doktorarbeit an der Universität Bayreuth.

Am Ende findet das Treffen mit dem Urgroßenkel eines Häuptlings im Café Zollinger statt. Je düsterer der Nachmittag draußen wird, desto mehr Frauen finden sich drin zum Kaffeeklatsch ein. Der Kuchen im Zollinger ist gut, das Café mit seinen unverschnörkelten Spiegeln, den stoffbezogenen Bänken und dem Siebziger-Jahre-Ambiente dagegen wirkt wie ein zum Vorzimmer umgebauter Speisesaal. Etepetete geht es nicht zu. Die Gäste haben sich viel zu erzählen. Die Kakofonie der Stimmen breitet sich aus – mitunter bleiben Halbsätze im Raum hängen. „Hör mal“, und „sag ich doch“ und „die Erika hat das nicht gewollt.“ Glover muss gegen den steigenden Lärmpegel seine Erklärungen, warum Polygamie in Ghana wieder auf dem Vormarsch ist, ins Mikrofon schreien. „Sollen doch alle nach ihrer Fasson selig werden“, übertönt eine Grauhaarige in Trachtenjacke und Kordhose, die ihre Mütze aufbehalten hat, am Nachbartisch ihre Freundinnen, als hätte sie zugehört.

Glover war jahrelang als wissenschaftlicher Mitarbeiter beim Internationalen Verband der Familienplanungszentren, der Aufklärung in Sachen sexueller und reproduktiver Gesundheit macht, beschäftigt. Da ist ihm aufgefallen, dass Polygamie in Ghana wieder zunimmt. Vor allem in den Großstädten. Auch als Universitätsdozent hat er in diesem Rahmen geforscht. Allerdings hat ihm ein Doktortitel gefehlt. Ohne Stipendium war das nicht zu schaffen. Da kommt Bayreuth ins Spiel. Dort gibt es das Bigsas, ein internationales Graduiertenkolleg für afrikanische Studien. Glover ergatterte einen der sechzig Plätze, die zur Hälfte mit Doktoranden aus Afrika belegt sind. Deshalb zittert er sich jetzt durch den fränkischen Winter.

Polygamie, erklärt Glover, sei ein Oberbegriff, der fälschlicherweise benutzt werde, um über Männer zu sprechen, die mehrere Frauen haben. Das richtige Wort dafür sei aber Polygynie. Es gibt Völker in Tibet, in Indien oder etwa bei den Massai, wo auch das andere möglich ist, die Polyandrie, „bei der eine Frau mehrere Männer hat“. Die Unterscheidung ist wichtig. Denn in Ghana ist Polygynie erlaubt, Polyandrie aber verboten. Männer dürfen mehr als eine Frau haben. Hat aber eine Frau mehr als einen Mann, dann gilt sie in seinem Land als Prostituierte.

Offiziellen Verlautbarungen zufolge nehme Polygynie in Ghana ab. Die Wirklichkeit sehe aber anders aus. Glover legt Statistiken von 1998 und 2003 auf den Tisch. Tatsächlich ist die Zahl der verheirateten Frauen, die sich mit mehreren Frauen einen Ehemann teilen, im islamisch geprägten Norden des Landes in besagtem Zeitraum von 52 Prozent auf 44 Prozent gesunken. In der eher katholischen Region, die als „Oberer Osten“ zusammengefasst ist, und in der christlich und traditionalistisch geprägten Region, die als „Oberer Westen“ bezeichnet wird, ist Polygynie jedoch um etwa den gleichen Prozentanteil gestiegen. „Das gibt doch Rätsel auf“, sagt Glover. „Warum nimmt Polygynie in christlichen Regionen zu? Und warum unter gebildeten Leuten in den Städten?“ Denn das ist die zweite Erkenntnis, die so niemand erwartet hat.

Glover hat Feldstudien in den betroffenen Regionen gemacht. Er hat Frauen und Männer befragt, die polygynisch zusammenleben, und er hat Untersuchungen mit Jugendlichen gemacht. „Was sind deren Erwartungen? Wie wollen sie leben?“ Mit dem Material ist er ins kalte bayrische Bayreuth gekommen, wo der Grundsatz, dass die Ehe heiliges Gut ist, gilt, selbst wenn sich Richard Wagner in seinem Begehren nicht davon hat abhalten lassen, da kreative Auswege zu finden.

Früher seien bei der Polygamieforschung Fragen im Vordergrund gestanden, die westliche Maßstäbe an die Untersuchungen legten. Etwa, ob Frauen in polygynischen Beziehungen miteinander konkurrierten? Auch sei Polygamie unter dem Blickwinkel der Ausbeutung von Frauen analysiert worden. Solche Fragestellungen seien einseitig und überholt, meint Glover. Heute müsse man die gesellschaftliche Entwicklung im Blick haben. Und da treffen moderne und traditionelle Strömungen aufeinander. Etwa, dass junge Frauen sich weiterbilden möchten, dass Bildung aber meist privat finanziert werden muss. Eine Ehe kann da eine ökonomische Absicherung sein. „Du musst klar kalkulieren können, wenn du es als Mädchen zu etwas bringen willst“, sagt Glover.

Frauen wollen aber nicht nur Bildung, sie wollen auch einen Beruf und Karriere. Dabei treffen sie auf Vorbehalte. Glover meint, dass eine Unverheiratete niemals eine Führungsfunktion innehaben könne. Auch sei es wichtig, dass Frauen Mütter sind. Kinder sollten aber in einer Ehe geboren sein. Abtreibung ist in Ghana illegal. „Mit Kindern zeigt man, dass man Verantwortung übernimmt“, sagt Glover. Das gelte zwar auch für Männer, aber für Frauen umso mehr. „Eine unverheiratete Frau ohne Kind, die ein politisches Amt anstrebt, würde bei einer Wahl niemals gewählt.“

Hinzu komme, dass viele gestandene Männer gern auf „Sugar-Daddy“ machten und Beziehungen zu jungen Frauen eingingen, „da sie diese noch formen können“. Es könne aber leicht sein, dass die Männer früher schon verheiratet wurden. Weil die starren Vorgaben der katholischen Kirche Scheidung aber nicht erlauben, werde Polygynie zu einem Ausweg.

Aus Glovers Sicht gehen Frauen den Weg in die Vielehe meist aus ökonomischen Gründen. Die Ehe sei aus traditionellen, gesellschaftlichen, religiösen und juristischen Gründen für sie unverzichtbar. „Unverheiratete Frauen genießen keinen Respekt in der Gesellschaft“, sagt er. Und die Männer, warum gehen sie Vielehen ein? Da wird Glover einsilbiger. Er hält es für möglich, dass sie es aus altruistischen Gründen tun. Etwa, wenn die Geliebte schwanger wird. Bequem sei es ja auch, denn ihnen sei Polygamie nun mal erlaubt. Da haben es die Ghanaer besser als Wagner, der sich erst dreißig Jahre durch eine Ehe hangelte, sich mit platonischen und echten Affären half , bevor er seine fast 25 Jahre jüngere Muse Cosima von Bülow ehelichen konnte. Der Satz, den der Frauenliebende am Ende seines Lebens schrieb und über dem er zusammenbrach, lautete: „Gleichwohl geht der Prozess der Emanzipation des Weibes nur unter ekstatischen Zuckungen vor sich. Liebe – Tragik.“ Danach ereilte ihn der Tod.

Und Glover, wie hält er es mit der Ehe? Er hat eine Frau, zwei Kinder, aber nicht nur jetzt, auch in Ghana lebten sie mitunter schon in verschiedenen Städten. Seine Frau habe einen Imbiss im Süden des Landes. Er würde sie gern mal nach Bayreuth holen, um ihr zu zeigen, wie das mit den Cafés hier so läuft.