piwik no script img

Archiv-Artikel

Arbeitsziel Abschiebung

Die Hamburger Ausländerbehörde gilt als härteste in Deutschland. Für hohe Abschiebequoten begibt sie sich in Grauzonen des Rechts: Da werden Jugendliche per Augenschein zu Volljährigen und Herkunftstests von mutmaßlichen Schleppern erbracht

„Das Schlimmste an dieser Behörde ist, dass sie wider besseres Wissen rechtswidrig handelt“

VON JAN FREITAG

Es ist Mitternacht. Eigentlich Betriebspause in Fuhlsbüttel, doch dann rauschen Polizeibusse über die Rollbahn und laden ihre Fracht in eine startbereite Chartermaschine: 24 Männer, herangekarrt aus vier Bundesländern. Sie sind gefesselt, sie tragen wie jener Sudanese, der daran 1999 erstickte, Helme. Ein Insasse, so lautet die Strafanzeige seines Anwalts, wird gegen seinen Willen intravenös betäubt. So entgeht dem 19-Jährigen, wie er zusammen mit anderen Abschiebehäftlingen in die Staaten geflogen wird, denen sie entflohen sind – nach Guinea, Togo, Benin.

Solche Sammelrückführungen startet Hamburg öfter, zuletzt im September, wo eine zehnköpfige Familie getrennt wurde. Unter Umgehung des Nachtflugverbots, vor Zeugen per Sichtblende geschützt. Dass die UNO vor Ausweisungen nach Togo warnt, hinderte die Organisatoren nicht an einer Praxis, die aus Sicht von Hilfsorganisationen typisch ist für die Ausländerbehörde: Kein anderes Bundesland verfahre rigoroser mit Menschen ohne Aufenthaltsrecht.

„Hamburg drängt sich immer vor, wenn es darum geht, was auszuprobieren“, meint Bernd Mesovic von Pro Asyl in Frankfurt. Die Skrupel seien geringer, in juristische Grauzonen vorzudringen. Ob Rückführungen Minderjähriger, Kranker und Behinderter, Familientrennungen oder Kooperation mit dubiosen Zielstaaten – was andernorts Ausnahmen sind, habe hier Methode, sagt Anne Harms von der kirchlichen Hilfsstelle „fluchtpunkt“. Hamburg hat auch 2006 sein Ziel, möglichst viele Menschen ohne Nutzwert loszuwerden, rigoros exekutiert. Die Ausländerbehörde, sagt Anne Harms, agiere „völlig enthemmt“.

Wie ein gestrandetes Schiff liegt sie am Rand der City, acht Etagen, rund 160 Mitarbeiter. Zuständig für gut jeden zehnten der fast 190.000 „vollziehbar Ausreisepflichtigen“ in Deutschland, die der Staat nur duldet, weil sie als Kriegsflüchtlinge kein Asyl erhalten oder mangels gültiger Papiere nicht rückführbar sind. Wie lange noch, entscheidet sich im 1. Stock, der Rückführungsabteilung, Mark Nerlinger zufolge ein riskanter Ort für seine Mandanten.

„Das Schlimmste an der Behörde ist, dass sie wider besseres Wissen rechtswidrig handelt“, lautet sein Vorwurf. Es geht um Festnahmen in den Amtsräumen ohne richterlichen Haftbefehl. Das Verwaltungsgericht hat deren Unzulässigkeit bestätigt. Doch die Filiale des Einwohnerzentralamts fahre unbeirrt fort und könne dabei auf Richter bauen, die trotz des groben Verfahrensfehlers Abschiebehaft verhängten. Damit, sagt Nerlinger, „lassen sie sich in die Rolle des Erfüllungsgehilfen drängen“.

Um Licht in dieses System zu bringen, hat seine Kanzlei Strafanzeige gegen fünf Behördenmitarbeiter gestellt. So sollte sich klären, ob die Abteilungen „das Recht auf Weisung der Amtsleitung beugen“. Doch in sechs Monaten habe die Staatsanwaltschaft „nichts, aber auch gar nichts getan“, empört sich Nerlinger. Die Sprecherin der Ausländerbehörde, Ulrike Nehls-Golla, betont zwar die Legalität der Verhaftungen, räumt aber ein, das Landgericht sei „auch zu anderen Bewertungen gelangt“. Zu welchen, verrät sie nicht, obwohl es ein halbes Dutzend Urteile dazu gibt. Überhaupt ist ihr Amt schweigsam, Interviews erfolgen schriftlich, Nachfragen bleiben oft folgenlos.

Als 2005 erstmals ein Filmteam Einblick in den Behördenalltag nehmen durfte, war das Aufsehen folglich groß. Michael Richters preisgekrönte NDR- Doku „Abschiebung im Morgengrauen“ zeigt den Spruch, der als Bildschirmschoner über den Computer einer Mitarbeiterin läuft: „Wir buchen, Sie fluchen – mit freundlicher Unterstützung des Reisebüros Never-Come-Back-Airlines.“

Es ist dieser Zynismus, der Kritikern aufstößt, die Mischung aus Rechtstreue, der alles andere untergeordnet wird, und Rechtsermessen am Rande der Legalität. Zum Beispiel bei Familie D., deren Mutter, von türkischen Sicherheitskräften gefoltert, 1996 ihrem Mann sowie beiden Söhnen nach Hamburg folgte und ein drittes Kind gebar. Sie beantragten humanitäres Bleiberecht, die Ausländerbehörde lehnte ab. Danach wurde es laut Anne Harms „selbst für Hamburg bizarr“: Das Amt bot für die Rücknahme des Widerspruchs Aufenthaltsgenehmigungen an, die das Verwaltungsgericht fünf Jahre später billigte.

Nun klagt die Behörde gegen die Aufenthaltsgenehmigungen– und damit gegen ihr eigenes Angebot. Und versucht trotz des schwebenden Verfahrens weiter, die Familie abzuschieben. Für Harms ist das Zermürbungspolitik, denn das Verfahren dauert Jahre, während derer die beiden volljährigen Söhne als nur Geduldete keine Ausbildung beginnen dürfen. So werde ein Klima der Angst erzeugt, das Migranten lehre: „Ihr könnt nicht gewinnen.“ Nicht mal mit rechtskräftigen Urteilen im Rücken.

„Hamburg war schon immer rigide“, sagt Conny Gunßer vom örtlichen Flüchtlingsrat. Doch seit der Ära Schill sei die politische Rückendeckung größer. Hinzu kommt die hohe gesellschaftliche Akzeptanz für 1679 Abschiebungen des Vorjahres –fast jede zehnte aus Deutschland insgesamt. Migranten fehlt schlicht die Lobby, es sei denn, Kinder sind betroffen.

Dann geht auch die bürgerliche Presse auf Distanz. Noch zaghaft, als der 16- jährige Arkadi P. ohne seine Mutter nach Armenien abgeschoben wurde. Schon vehementer bei einem 16-jährigen Palästinenser, den die Ausländerbehörde vier Jahre älter machte, um ihn aus der gesetzlichen Obhut ins Hamburger Sammellager nach Mecklenburg bringen zu können. Das Vorhaben scheiterte, da zwei zur Festnahme gerufene Polizisten die Korrektur des Sachbearbeiters widerlegten. Glück für Achmed, denn jeder zweite Jugendliche altert auf der Ausländerbehörde per Augenschein, um ihn oder sie dann als Volljährigen abschieben zu können.

Und wie man den letzten Hinderungsgrund, unbekannte Herkunft, beseitigt, hat das Amt im vorigen Winter gezeigt: Gut 600 Westafrikaner ohne Pass wurden einer eigens geladenen Delegation aus Guinea vorgeführt. Die Mehrzahl fand sich nach den Sekunden dauernden Herkunftstests oft unverhofft als guinesische Staatsangehörige wieder. Obwohl Guineas Botschaft die Delegation nicht anerkannte und deren Leiter der Schlepperei verdächtig ist, schiebt Hamburg auf Grundlage der von ihm ausgestellten Dokumente weiter ab.

Verglichen mit Hamburg, sagt Stephan Dünnwald vom Flüchtlingsrat in München, sei die eigene Ausländerbehörde mittlerweile „ausgesprochen liberal“. Wer hätte gedacht, so etwas mal aus Bayern zu hören.