: Es ist Jakobsmuschelzeit!
lm Mittelalter benutzten Pilger die gewölbte Muschel als Trinkschale. Mit ihr wiesen sie ihre Pilgerschaft nach. Bei Chefkoch Didier Robin in der Normandie kann man lernen, wie man die glitschige Leckerei stilecht zerlegt und gut zubereitet
von NINA ESSER
Sie können auch einen Abendspaziergang auf der Uferpromenade von Port-en-Bessin machen, wo es sich mit einem Apéritif in einem Hafenbistro gut auf ein opulentes Coquilles-Saint-Jacques-Menü im Restaurant L’Ecaillier einstimmen lässt. Oder Sie gehen gleich zu Didier Robin, dem jungen Chefkoch im Hotel La Chenevière. Dort können Sie lernen, wie man frische Jakobsmuscheln (Pecten maximus) zubereitet. Die Saison wird mit dem Jakobsmuschelfest Mitte November in Port-en-Bessin eingeläutet und dauert bis Mitte Mai. Die Fangzeiten werden jährlich festgelegt und richten sich nach Einschätzung des verfügbaren Bestandes und des Marktes.
Vor Robin steht ein Korb mit ineinandergestapelten Jakobsmuscheln (frz.: Coquilles Saint Jacques). Im Mittelalter benutzten Pilger die gewölbte Muschel als Trinkschale. Mit ihr wiesen sie ihre Pilgerschaft nach. Bis heute ist sie ihr Erkennungszeichen und weist die Jakobswege nach Santiago de Compostela aus. Didier Robin nimmt eine Jakobsmuschel, trennt mit einem Messer den weißen Muskel, der beide Teile zusammenhält, vom flachen Muschelteil ab, hebt ihn hoch und gibt den Blick frei auf die lebende Muschel, die vollständig im gewölbten Teil liegt.
Die Hobbyköche sehen den dicken weißen Muskelstrang, „la noix“, die Nuss, „la barbe“, den Bart mit den sechzig blauen Augen, „le coreil“, den roten Rogen, und eine schwarze Tasche, „la poche noire“. Mit den vielen winzigen Augen erkennt die Jakobsmuschel Feinde. Mit einem Suppenlöffel hebt Robin das gesamte Weichteil heraus und befreit mit der Hand die Nuss von allen übrigen Organen. Der Rogen ist ebenfalls eine Delikatesse. Den Bart kann man für eine Bouillon verwenden. Die Muscheln sind lebende Nahrungsmittel. Sie dürfen in der Muschel nur zwei Tage, die Nuss in Frischhaltefolie zwischen drei und vier Tagen im Kühlschrank aufbewahrt werden. Am besten ist es, sie ganz frisch zu genießen und sie dazu kurz in ein bisschen Butter zu braten.
Vor der normannischen Küste hat die Jakobsmuschel beste Lebensbedingungen: grobkörnigen Sand, Süßwasser aus der Seine und Plankton, von dem sie sich ernährt. Sie gehört zu den bedrohten Arten, und so ist ihr Fang streng reglementiert. Pro Schiff, das nicht länger als 16 Meter sein darf und auf dem nicht mehr als sechs Fischer arbeiten, dürfen pro Tag und Fischer nicht mehr als 250 kg gefischt werden. Die festgesetzte Mindestgröße der Jakobsmuschel beträgt 11 cm. Dann ist sie mindestens 2 Jahre alt. Zwei Drittel der gesamten 15.000 in Frankreich gefischten Tonnen kommen aus der unteren Normandie. Gefischt wird mit von den Engländern erfundenen Schleppnetzen aus Metall, „dragues“ (engl. dredges). Sie werden ins Meer gelassen, und ein Rechen mit 10 cm langen Eisenzähnen gräbt den Meeresboden auf und befördert die vergrabenen Muscheln an die Oberfläche. Die Fangweise ist immer noch umstritten, da sich beim Pflügen und Einsammeln von den Geräten zerfetzte Schollen und der wertvolle Steinbutt in den Netzen verfangen. Anfang Dezember beginnt der Fang der Königin unter den Jakobsmuschel innerhalb der 12-Meilen-Zone von Barfleur bis zum Cap de la Hève, also oberhalb des Département Calvados. Sie ist mit dem Label Rouge ausgezeichnet und unterliegt strengsten Qualitätsmerkmalen. Nur bis März darf sie gefangen werden.
80 Prozent der Muscheln sind mit tiefrotem Rogen versehen. Sie werden sortiert, und nur die schönsten bekommen das Label. Noch auf dem Schiff werden sie gewaschen. Keinen Schönheitsfehler dürfen sie haben, nicht einmal angeschlagen sein. Damit ihr eigenes Wasser zwischen den Schalen nicht verloren geht, müssen sie liegend aufbewahrt werden. Der Verbraucher kann sich ihrer Frische sicher sein: Sie dürfen ihm nur bis zum Abend des auf den Abkauf vom Fischer folgenden Tages verkauft werden. Sie liegen in kleinen Körbchen mit Etikett, darauf der Name des Schiffs, Datum und Uhrzeit des Fangs.
Didier Robin hat es auf die Nuss abgesehen. Heute gibt es ein Carpaccio von frischer Jakobsmuschel. Sie wird ganz dünn aufgeschnitten, schön arrangiert und mit dunklen Schokoladensplittern bestreut. Bon appétit!